Regie: Giuseppe de Santis
Liebe und Reis...
"Bitterer Reis" aus dem Jahr 1949 ist einer der bekanntesten Werke des
italienischen Neorealismus und wurde von Giuseppe De Santis gedreht und
ist thematisch ein naher Verwandter der Meisterwerke "Stromboli"
(Roberto Rosselini, 1949), Fahrraddiebe" (Vittorio de Sica, 1948) oder
"Die Erde bebt" (Luchino Visconti, 1947), die ebenfalls in den frühen
Nachkriegsjahren gedreht wurden. Seinen großen Publikumserfolg verdankt
der Film aber eher seinen Äusserlichkeiten - den leichtgeschürzten
Arbeiterinnen und vor allem der erotischen Ausstrahlung seiner
Hauptdarstellerin Silvana Mangano, die mit dieser Rolle zum Weltstar
wurde. In der Umgangssprache in der Bundesrepublik galt der Ausdruck
"Bitterer Reis" sogar eine Weile als ein Synonym für übergroße Busen.
Der Film ist zwar manchmal wie eine Kolportage inszeniert, dennoch
vermittelt "Bitterer Reis" ein realistisches Stück Sozialkritik und
bescherte auch der Hollywood Schauspielerin Doris Dowling ein kleines
Comeback. Sie begeisterte einige Jahre zuvor als perspektivlose
Prostituierte an der Seite von Ray Milland in Wilders Alkoholiker-Drama
"Das verlorene Wochenende" und spielte anschließend die ermordete
alkohlsüchtige Ehefrau von Alan Ladd im Film Noir "Die blaue Dahlie.
Danach wurde es still um sie, sie ging Ende der 40er Jahre nach Italien
und wurde von de Santis als Gangsterbraut Francesca für seinen Film
verpflichtet.
Die "Mondinas" sind Saisonarbeiterinnen, die einmal im Jahr für einige
Wochen in die Po-Ebene reisen um dort Reis anzupflanzen. Sie treffen
sich zahlreich am Bahnhof, wo sie zum Bestimmungsort gefahren werden.
Dort hält sich auch der Juwelendieb Walter (Vittorio Gassmann) mit
seiner Freundin Francesca (Doris Dowling) auf. Er hat ein wertvolles
Halsband gestohlen und ist auf der Flucht vor der Polizei. Daher braucht
er die Komplizenschaft von Francesca, die das Schmuckstück an sich
nimmt und er versucht sich unerkannt unter die Reisenden zu mischen. Er
entdeckt dort auch die attraktive und vitale Silvana (Silvana Mangano),
die Boogie Woogie tanzt. Er tanzt mit der Schönheit, doch die
Gesetzeshüter entdecken ihn und er muss am Bahnhof flüchten. Francesca
entschließt sich mit den Mondinas zu fahren, um etwas Geld zu verdienen.
Sie freundet sich während der Fahrt mit Silvana an. Da Francesca aber
das gestohlene Schmuckstück entdeckt, kommt es auch zur Rivalität
zwischen den beiden Frauen. Durch den Soldaten Marco (Raf Vallone), der
sich in Silvana verliebt, können die beiden Frauen den Streit aber
wieder begraben. Bald taucht auch Walter wieder auf. Francesca hat vor
ein ehrliches Leben aufzubauen, auch Walter scheint eher Augen für
Silvana zu haben. So versucht er mit ihrer Hilfe die hart schuftenden
Frauen um einen großen Teil ihres Lohns zu bringen. Eine Katastrophe ist
unausweichlich...
Produzent Dino de Laurentis setzte auf die Erotik seines Sozialdramas
und die Rechnung ging an der Kinokasse auf. Das Drama der Leidenschaften
wurde ein internationaler Erfolg. Sehr gelungen ist die Verbindung
zwischen Melodram und dem harten Realismus, der die schlechten
Lebensbedingungen der "Mondine" eindrücklich schildern. Die Gewalt
scheint befreiend zu wirken, wenn man den blutigen kampf im Schlachthaus
interpretiert, der auf dem Höhepunkt des Films stattfindet und
vielleicht auch für ein Symbol des Aufstandes der Unterdrückten steht.
Die amourösen Verwicklungen zwischen zwei Paaren legen auch die
schonungslose Wahrheit über die große Armut offen, die nach dem 2.
Weltkrieg weit verbreitet war. Auch die Arbeit muss ohne Pause
verrichtet werden, dabei soll nicht miteinander gesprochen werden.
Dieses Verbot umgehen die Arbeiterinnen mit Gesang. Die Texte, die sie
dazu singen, fungieren als Dialog mit den anderen Arbeiterinnen, so
können sie trotz des Verbotes miteinander kommunizieren und sagen, was
sie zu sagen haben. Herausragend ist auch die Bildgestaltung (Kamera:
Otello Martelli) des Filmes, der sogar stellenweise Film Noir Anteile
sichtbar macht. Besonders in den Nachtaufnahmen und im Verlauf des
Finales ist Martellis Kameraarbeit nicht nur kunstvoll sondern bewusst
artifiziell und düster. Wie der Film Noir war der Neorelismus vom
französischen Poetischen Realismus der Vorkriegsjahre beeinflusst. Viele
Beschreibungen des Films geben an, dass der Film während der Reisernte
spielt. Tatsächlich findet die Handlung aber während der Pflanzung im
Mai statt. Der im Lager vorhandene Reis stammt aus dem Vorjahr und dient
auch zur Bezahlung der arbeitenden Frauen.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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