Freitag, 6. September 2019

Boyhood







































Regie: Richard Linklater

Ein Junge wächst auf...

Als Chronist erscheint der Regisseur Richard Linklater im Vergleich zu seinen anderen amerikanischen Kollegen wie eine Ausnaheerscheinung. Schon die Fortsetzungsfilme "Before Sunrise", "Before Sunset" und "Before Midnight" (1995,2004 und 2013) zeigt im neunjährigen Rhythmus das Paar Jesse und Celine (gespielt von Ethan Hawke und Julie Delpy), das sich in Wien kennenlernt, nach mehreren Jahren in Paris wiedersieht und dann zusammenkommt, sich aber in den nächsten Jahren als Ehepaar wieder auseinanderleben. Damit zogen viele Filmkritiker schon Vergleiche mit Francois Truffauts "Antoine Doinel" Filmreihe und der von 2002 bis 2013 realisierte Langzeit Coming of Age Film "Boyhood", der das Aufwachsen eines Jungen über den Zeitraum von 12 Jahren zeigt, gibt dieser Einschätzung zusätzlich Nahrung. Die große Besonderheit des Films und damit auch die Nähe zu Truffaut ist, dass die Schauspieler im Verlauf dieser langen Zeitspanne, in der immer wieder gedreht wurde, reel wachsen und altern. Dieser Realismus kommt dem 163 Minuten langen, aber nie langweiligen Filmwerk sehr zugute.
Es geht um das Leben des anfangs noch kleinen Mason (Ellar Coltrane), der mit seiner Schwester Samantha (Lorelei Linklater) bei der alleinerziehenden Mom (Patricia Arquette) aufwächst. Die Ehe mit ihrem Mann Mason (Ethan Hawke) ist gescheiert und die Kids haben den Vater, der in Alaska lebt, seit 1 1/2 Jahren nicht mehr gesehen. Umso größer ist die Wiedersehensfreude. Ab diesem Zeitpunkt investiert der Mann als Wochenendvater für die Kinder und sorgt für coole Wochenenden. Den Alltag durchleben die Kids mit der Mutter, die sehr oft an die falschen Männer gerät - vorzugsweise mit Alkohol-Problem. Daher bekommen die Kinder auch drei verschiedene Männer vorgesetzt, einer davon ist der Professor Bill Welbrock (Marco Perella), der seine eigenen beiden Kinder aus vorheriger Beziehung - Mindy (Jamie Howard) und Randy (Andrew Villarreal) mitbringt, die etwa im gleichen Alter wie Mason und Samantha sind. Der leibliche Vater heiratet im Laufe dieser zwölf Jahre auch wieder - seine Ehe mit Annie (Jenni Toley) bleibt nicht kinderlos, so dass Mason ein Brüderchen bekommt. In sehr ruhigen Bildern skizziert Linklater den Weg des Jungen zum Teenager, der sich natürlich auch noch unglücklich verliebt (als Freundin Sheena: Zoe Graham) und in der letzten Sequenz mit der neuen College-Bekanntschaft Nicole (Jessi Mechler) bei einer Wanderung in den Big Bend National Park  sich bereits ein neues Glück andeutet, allerdings inszeniert als sehr schöne Momentaufnahme, in dem uns der Filmemacher eindrucksvoll zeigt, dass alles irgendwie vergänglich ist und wir den Augenblick ausnützen müssen und ihn genießen sollen...


 Immer wieder hat Linklater auch viel Zeitgeist in die Geschichte verwoben, in den Gesprächen gehts um die Terrorgefahr, um die hoffentlich siegreiche Wahl von Barack Obama, aber auch um die Star Wars Filme. Im Laufe des Films wechselt Mason dreimal den Haarschnitt und zieht zweimal um - von einer kleinen texanischen Kleinstadt nach Houston, dann wieder nach San Marcos mit seinen 44. 000 Einwohnern wieder recht beschaulich. Der Film über einen Jungen, der zum Mann heranwächst, fängt das Leben so einfühlsam und wahrhaftig ein, wie es nur sehr selten im Kino zu sehen ist - so die Kritik im Spiegel, in der tatsächlch viel Wahrheit steckt. Denn Linklater verweigert sich allen gängigen und populären dramaturgischen Kniffen und zeigt stattdessen mit einem großen Hauch von Leichtigkeit einen Lebenslauf. Ein US-Film, der stark durch das europäische Kino geprägt ist und angenehm unspektakulär auffällt. Neben dem leider in Deutschland viel zu unterbewerteten "Dazed and Confused" ist dies vielleicht Linklaters bester Film und möglicherweise sogar ein aussichtsreicher Kandidat für die kommende Oscarwahl.


Bewertung: 9 von 10 Punkten.

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