Donnerstag, 8. Februar 2018

Der Ermordung eines chinesischen Buchmachers

Regie: John Cassavettes

Cosmo, der Spieler...

Lange vor den Dogma Filmen pflegte bereits der amerikanische Independentfilmer John Cassavetes für ungewohnte Stilmittel. Er nutzte die bewegte Handkameraführung, setzte bewusst gelegenliche Unschärfen und ging mit dem Kunstlicht auch sehr zurückhaltend um. Um eine möglichst große Authentizität seiner Geschichten zu erreichen, bevorzugte er Originalschauplätze anstatt der üblichen Studiosets. Hinzu kam, dass er mit niedrigem Produktionsbudget arbeiten musste, so sind in seinen Filmen auch oft abbrechende Filmszenen zu finden. Cassavettes setzte immer den Schauspieler in den Mittelpunkt, die Technik konnte dabei vernachlässigt werden. Cassavetes, der auch als Schauspieler arbeitete (Rosemarys Baby, Teufelskreis Alpha, Das dreckige Dutzend, Ein Mann geht seinen Weg) gilt heute als der Wegbereiter des amerikanischen Independentfilm, ohne seine Vorarbeit ist das New Hollywood kaum denkbar.  Er konnte in seiner aktiven Laufbahn nur einen Hit an der Kasse landen, sein Gangsterfilm "Gloria, die Gansterbraut" wurde vor allem durch Ehefrau und Hauptdarstellerin Gena Rowlands zum Hit und ist lange schon ein Klassiker.  Cassavetes konnte der Machart der Filme aus den großen Hollywood-Studios wenig abgewinnen und auch in seinem 1975 entstandenen Gangsterfilm "Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers" (The Killing of a chinese Bookie) verweigert sich der Filmemacher allen gängigen Mustern und Effekten. In der Verkleidung einer Gangsterstory skizziert Cassavetes die Einsamkeit in den Großstädten, der Einzelne geht verloren auf den vielen Highways und Häuserschluchten. Darüberhinaus zeigt er seinen Protagonisten Cosmo Vitelli (Ben Gazzara) als Künstler. Seit 7 Jahren betreibt dieser Mann das Striplokal "Crazy Horse West" in Los Angeles. Dabei ist er nicht nur der Boss des Ladens, sondern sein eigener Autor, Regisseur und Choreograph. Er sucht die passende Musik für seine Shows im Burlesque Stil aus, natürlich auch die Mädchen. Als Conferencier auf der Bühne tritt sein "Doppelgänger" Mr. Sophisticated (Meade Roberts) auf. Mit der dunkelhäutigen Tänzerin Rachel (Aziz Johari) ist er liiert und geht im Haus ihrer Mutter (Virigina Carrington) ein und aus. Nach diesen 7 mühevollen Jahren hat er es endlich geschafft: Die letzte Rate für seinen Club hat er gerade bezahlt. Nun ist er endlich auch Eigentümer. Am gleichen Tag folgt er einer Einladung zu einem Pokerspiel, auf das ihn ein Besucher (Seymour Cassel) aufmerksam macht, der ebenfalls im Nachtclubmilieu tätig ist. Leider hat Cosmo gar kein Glück im Spiel. Dabei hat der Ausflug zum Konkurrenzunternehmen mit seinen Lieblingsladys Margo, Sherry und Rachel so gut angefangen. Champagner im Auto, doch am Ende der Nacht hat er 23.000 Dollar verspielt und sehr ungeduldige Schuldner auf dem Hals. Diese besuchen ihn am Folgetag und machen klar, dass sie sehr schnell ihre Forderungen wieder haben möchten. Sie untermauern ihr Ansinnen mit einem brutalen Schläger (Timothy Carey), machen aber gleichzeitig ein Angebot, dass Cosmo gar nicht mehr ablehnen kann. Die Schulden sind erlassen, wenn er einen unbedeutenden chinesischen Buchmacher erledigt. In seiner Verzweiflung akzeptiert Cosmo. Es wurde zwar alles von seinen Auftraggebern vorbereitet, doch schon das gestohlene Auto, dass ihn zum Haus des Chinesen bringen soll, versagt auf den Highway. Mit einer Taxi muss Cosmo den Auftrag weiter verfolgen. Doch die unvorhergesehenen Dynamiken dieses Auftrags häufen sich...



Dazwischen hält Cassavetes immer wieder die Kamera auf die Figuren der Geschichte, man sieht wie Cosmo sich auch als "Künstler" sieht. Dabei ist das Spektakel auf der Bühne seines Clubs, für das er verantwortlich ist, nun alles andere als erstklassig. Auch wenn ihm die Besucher immer wieder bescheinigen, was für einen tollen Laden er doch hat. Man spürt Cosmos leidenschaftliches Engagement für sein Club, seine Welt...denn auf dem Weg zu seinem Opfer nimmt er sich noch einmal Zeit im Club anzurufen um sich zu erkundigen, ob die Show auch läuft. Diese Momente zeigen die Tragik der Geschichte, denn Cosmos Show ist bald zu Ende. In dem Moment als er das viele Geld verspielt hat, wird klar, dass er sich auf einer Verliererstraße ohne Rückkehr befindet. Er ist bereits ein toter Mann - der Mord wird von Cassavetes als ein verzweifelter Versuch inszeniert, noch einmal gegen alle Vernunft sich dagegen aufzubäumen. Die Grundstimmung des Films ist überaus pessimistisch: Einer kann nicht bezahlen, muss einen Mord begehen. Aus dem angerichteten Blutbad wird er selbst zum Gejagten und darüberhinaus noch verletzt. Nicht nur die Action auf der Bühne des "Crazy Horse West" ist geprägt von Illusion und Selbsttäuschung. Mittendrin dieser zutiefst einsame Cosmo, unruhig und seltsam nervös. Am Ende steht er vor seinem Lokal, eine Art Schatten im Halbdunkel. An seinem Anzug klebt Blut, die Kugel steckt im Körper. Doch tapfer steht er am Ende aufrecht. Selten hat das Kino eindringlicher von der Verlorenheit eines Großtstädters erzählt. "Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers" ist ein Meisterwerk des 70er Jahre Kinos, leider ist der brilliante Film mit einer glänzenden Darbietung von Ben Gazzara etwas in Vergessenheit geraten.




Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.

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