Mittwoch, 24. April 2019

Zeit der Unschuld

Regie: Martin Scorsese

Liebe und Verzicht...

Martin Scorseses Verfilmung des Romans "Age of Innocence" der Pulizer Preisträgerin Edith Wharton ist nur auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Projekt des Regisseurs, der mit Mafiageschichten wie "Good Fellas" oder Großstadtportraits wie "Taxi Driver", "Hexenkessel" oder "Zeit nach Mitternacht" begeistern konnte. Sein 1993 entstandener Film handelt von einer unerfüllten Liebe, aber auch von den Anfängen der Stadt New York. Und genau da liegt ja eines der Hauptthemen des Filmemachers. New York - die Stadt, die niemals schläft, hat er immer wieder portraitiert, wie anschließend auch "Bringing out the Dead", "The Wolf on Wall Street" oder "Gangs of New York". Letzterer ist im Jahr 1846 in Five Points, einem damaligen Elendsviertel von Manhattan angesiedelt, und erzählt aus den Kindertagen dieser pulsierenden Metropole. Etwa 25 Jahre ist diese Zeit der Unschuld angebrochen, die New Yorker Upper Class hat sich formiert und pflegt ein bereits sehr erstartes System mit sehr striken Regeln. Sie sind reich, politisch und wirtschaftlich einflussreich und bestimmen mit ihrem konservativen Stil wer zu Ihnen gehört und wer aus diesem illustren Kreis auch verstoßen wird.
Martin Scorsese plante schon lange einen Liebesfilm zu machen, der Filmkritiker Jay Cocks empfahl ihm den Roman von Edith Wharton. Columbia Pictures stellte 35 Millionen Dollar als Budget bereit und man rechnete fest mit einem Oscar-Regen, doch der Start des Films musste verschoben werden, kam dann erst einige Monate später ins Kino und hatte bei der Vergabe der Academy Awards plötzlich einen übergroßen Konkurrenten neben sich: Steven Spielbergs "Schindlers Liste", der am Ende auch das Gros der Auszeichnungen gewinnen sollte. Für "Zeit der Unschuld" sprang lediglich der Preis für die besten Kostüme (Gabriella Pescutti) heraus. Bei den Golden Globes holte sich immerhin Nebendarstellerin Winona Ryder eine Auszeichnung und die australisch-britische Theaterdarstellerin  gewann denselben Preis bei der Verleihung den British Academy Film Awards mit ihrer Rolle als Mrs. Mingott.
Der Film fängt mit einer berauschenden Sequenz aus der New Yorker Oper an, die die große Klasse des deutschen Kameramanns Michael Ballhaus eindrücklich beweist. Dort in den Logen trifft sich der illustre Kreis der sozialen Oberschicht und die Anwesenden blicken misstrauisch auf die junge Gräfin Olenska (Michelle Pfeiffer), von der man weiß, dass sie lange in Europa war und dort mit ihrem Mann eine chaotische Ehe führte. Nun ist sie alleine zurückgekehrt und Kenner der Gerüchte wollen wissen, dass sie ihn im Streit verließ und einige Zeit bei dessen Sekretär unterkam. Für diese Oberschicht schickt sich das nicht, das machen Larry Lefferts (Richard E. Grant) und Sillerton Jackson (Alec McGowen) in ihrem Gespräch sofort klar, dem auch der junge Anwalt Newland Archer (Daniel Day Lewis) beiwohnt. Er ist mit der hübschen May Welland (Winona Ryder) verlobt und versucht in der Folge den Ruf der Gräfin zu rehabilitieren, schließlich ist sie eine enge Verwandte der Welllands, die sich einen Skandal nicht leisten können. Denn dies bedeutet der gesellschaftliche Tod in dieser ersten Blütezeit der USA.
Dabei lernt er die unkonventionelle Art der Gräfin schätzen, die so anders ist als alle anderen nahen Menschen in seiner Umgebung. Sie wirkt entspannt und wirkt fast naiv, obwohl genau dieses Umfeld schon sehr stark am prüfen ist, ob die Frau, die in Trennung lebt, aus dieser Gesellschaft ausgestoßen werden muss. Durch ein riesiges Fest bei der einflussreichen Familie van der Luyden (Michael Gough, Alexis Smith) scheint vorerst das Eis gebrochen und die Frau wird in den illustren Kreis mit aufgenommen. Doch dann geschieht leider etwas unverhergesehenes in dieser Welt der festen Regeln, wo alles seinen festen Gang gehen soll: Newland verliebt sich in die Gräfin. Darf jedoch niemals über seine Gefühle reden. Auch Elena Olenska hat Empfindungen für Newland, auch sie ist an die Konventionen dieses Systems gebunden. So erkennen die beiden zwar ihre Liebe zueinander, müssen sie aber unterdrücken und noch mehr für die Öffentlichkeit total verstecken. Dann gibt May, die bisher stets gezögert hat, spontan und überraschend grünes Licht für die Hochzeit mit Newland....








 Und dies macht die verbotene Liebe noch unmöglicher. Die Geschichte, die Martin Scorsese hier erzählt, ist eine ganz traurige Geschichte. Es handelt von der Leidenschaft eines Mannes, der diese unterdrücken muss und damit sein Herz besiegt. Die letzte Szene dieses stillen Meisterwerks fasst dann alles noch einmal zusammen, unerträglich ergreifend, traurig und stark berührend. Im Original spricht Joanne Woodward die Stimme aus dem Off, die immer mal wieder das Treiben dieser opulenten Zeit beschreibt. Dabei spricht der Film nicht immer alles aus - genau typisch für diese Zeit, in der nicht miteinander geredet wurde, sondern übereinander und in dieser Zeit hat man auch stillschweigend Komplotte ausgeheckt, wenn sie dem Ansehen der Familie dienlich waren. Diese Erfahrung macht auch Newland Archer, der fast bereit wäre alles für sein persönliches Glück aufzugeben, aber dann doch wie durch eine großangelegte geheime "Verschwörung" davon abehalten wird.








Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

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