Donnerstag, 2. Juli 2020

American Sniper







































Regie: Clint Eastwood

Schafe, Wölfe und Hirtenhunde...

Als kleiner Junge wird Chris Kyle  von seinem strengen Vater, der seine unfolgsamen Kinder schon auch mal schlägt, immer mit auf die Jagd genommen. Er lernt so sehr früh das Schießen und das Töten von Tieren. Und der Vater erklärt ihm, dass es drei Arten von Menschen gibt: Die Schafe, die Wölfe und die Hirtenhunde. Die Schafe sind schwach - Menschen, die sich nicht zu helfen wissen und bei Bedrohung völlig wehrlos sind. Die Wölfe sind die starken, aber bösen Menschen, die ihre Macht ausnutzen und bewusst Gewalt an den Schwächeren verüben. Die dritte Gruppe sind die Hunde, die stark sind und ihre Kraft und Macht in den Dienst des Kollektivs stellen. So wie der Hirtenhund seine Herde beschützt, so hilft auch diese starke Menschengruppe den Schwächeren im Kampf gegen das Böse. Und er, der Vater, duldet weder Opfer noch Täter in seiner Familie. So versucht er seine beiden Jungs zu Beschützern und somit auch zu rechtschaffenen Amerikanern zu erziehen. Bei Chris (Bradley Cooper) ist ihm dies auch voll gelungen, denn in der ersten Szene sehen wir den Mann aus Texas als erfolgreichen Scharfschützen versteckt auf einem Dach in einer zerbomten irakischen Stadt. Er und sein Spotter haben die Aufgabe einen Kovoi von Kameraden zu sichern, die gerade Häuser durchsuchen. Er sieht dabei eine Frau und einen Jungen. Das könnten Feinde sein und tatsächlich gibt die Mutter ihrem Jungen eine Granate, mit der er auf die amerikanischen Soldaten zuläuft. Als Beschützer hat er nun die schwierige Aufgabe, verbunden mit Gewissensbissen, sich zu entscheiden. So bleibt ihm nichts anderes übrig als den Abzug zu drücken und die Feinde zu töten - er erschießt das Kind und gleich danach die Frau.
Clint Eastwoods neuester Film erzählt die wahre Geschichte des Chris Kyle, der mit über 160 bestätigten Tötungen laut dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten der erfolgreichste amerikanische Scharfschütze im Irakkrieg war. Sein Leben endete am 2. Februar 2013 sehr tragisch. Kyle wurde zusammen mit seinem Freund Chad Littlefield auf dem Schießplatz Rough Creek Lodge im Erath County in Texas erschossen. Bei dem Täter handelte es sich nicht um den irakischen Feind, sondern um einen Landsmann. Der 25jährige Veteran Eddie Ray Routh, ein ehemaliger Marine, der an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt, zog die Waffe. "American Sniper" endet mit einem Bild, das eine Vielzahl von Polizeiautos zeigt, die am Tatort stehen.  Eastwood gelingt somit das Kunststück, durch die komplette Weglassung jedes politischen Kontexts, diese Schlusspointe so zu erhöhen, dass die Ermordung Kyles durch einen Veteranen zum absoluten Höhepunkt gerinnt: Im Grunde führen die Amerikaner einen Krieg gegen sich selbst und am Ende steht die Zerstörung von Innen.
Der Film führt den Zuschauer immer wieder in die zwei Leben des Chris Kyle. Einerseits versucht der ehemalige Profi-Rodeoreiter mit seiner großen Liebe Taya (Sienna Miller), die er in einer Bar kennenlernt, ein glückliches Leben zu führen. Andererseits wird er als Scharfschütze bei den United States Navy Seals immer mehr zum besten Scharfschützen und für seine Kameraden zum Helden. Er kommt zwischen 2003 und 2009 auf vier lebensgefährliche Einsätze. Auslöser für seine Begeisterung am Krieg ist sicherlich seine Erziehung in der Kindheit, die Bombenanschläge auf US-Botschaften in Afrika und das amerikanische Trauma vom 11. September geben dem Ganzen den Rest. Im Kriegsgebiet wird er Jagd machen auf den als der Schlächter (Mido Hamada) bekannte Terrrorist machen, die rechte Hand des Al-Qaida Terroristen Abu Mus ab az Zargawi und liefert sich ein Scharfschützenduell mit Mustafa (Sammy Shek), dem besten Scharfschützen der irakischen Auständischen, der aus Syrien stammt. An der Front überaus erfolgreich, versagt der Sniper aber im privaten Bereich auf ganzer Linie. Mit Taya hat er inzwischen 2 Kinder und wird kaum mit jemand darüber reden können, dass er Sprinkleranlagen als Angreifer interpretiert oder er den Rasenmäher als kriegerische Bedrohung auffasst. Im Krankenhaus während Tayas Schwangerschaftsuntersuchung nimmt er die Krankenschwester als Feind war und bei einer Gartenparty tötet er beinahe den Hund, der mit seinem Sohn spielerisch am Boden kämpft. In einer späteren Szene wird der Sniper beim Besuch bei einem Therapeuten aber sagen, dass er gar keine Probleme habe...





Die Heimatfront ist noch viel drastischer dargestellt als in den Klassikern dieses Genres wie "Die besten Jahre unseres Lebens" von William Wyler oder "Coming Home" von Hal Ashby. In seinem Alterswerk zieht Eastwood noch einmal alle Register einen wirklich provokaten Filmbeitrag ins Rennen zu schicken. Für viele Kritiker ist der Film, der auf 6 Oscarnominierungen kam und zum größten Kassenerfolg von Eastwood wurde (Einspielergebnis weltweit ca. 500 Millionen Dollar), ein reiner Propagandastreifen. Möglich ist ja diese Sichtweise, denn in Eastwoods Filmographie sind ja nicht nur Antikriegsfilme wie "Letter from Iwo Jima" zu finden, sondern auch Heldengeschichten vom grandiosen Soldatenleben wie in "Heartbreak Ridge". Dennoch meine ich, dass Eastwood als bekennender Republikaner sehr kritisch mit dem Kriegstreiben seiner Nation ins Gericht geht und die Illusion vom guten Amerikaner, vom guten Patrioten immer mehr zerstört. Das Schema von Gut und Böse und auch das Leitbild des Vaters werden an der Realität kritisch hinterfragt und lässt dem Zuschauer sogar den Freiraum an der Aufrichtigkeit von Kyles Gesinnung zu zweifeln. Denn man könnte sein Verhalten auch als diesen persönlichen Verfall sehen - der Krieg macht etwas böses aus dem Menschen und es ist gar nicht mehr klar, wer jetzt Schaf, Wolf oder Hirtenhund ist. Die Rollen werden auf den Prüfstand gestellt und in der Gesamtheit erkenne ich in "American Sniper" sogar die stärkste Antikriegsaussage überhaupt. Selbst wenn im eigenen Land der Kriegsheld nach seiner Ermordung durch den Veteranen Eddie Routh als Märtyrer gefeiert wird und der texanische Gouverneur Greg Abbott sogar einen "Chris Kyle Tag" ausrief - man wird als Zuschauer den mulmigen Verdacht nicht los, dass im Leben des Helden schon von Klein auf einiges schief lief. Die Verkörperung des amerikanischen Faschismus ist das sicher nicht, wie man Eastwood vorgeworfen wurde. Für mich eine starke Aussage eines großen Filmemachers.





Bewertung: 9 von 10 Punkten.

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