Regie: John Cassavettes
Zwei auf der Flucht...
Auch wenn "Gloria, die Gangsterbraut" im Jahr 1980 gedreht wurde, wirkt
der Großstadtthriller von John Cassavettes immer noch wie ein typischer
70s Neo Noir. Kein Wunder: Die Straßen der Südbronx und anderen Ecken in
New York wirken extrem atmosphärisch und echt. Ausserdem ist mit Gloria
Swenson (Gena Rowlands) eine echte Type als Hauptfigur vertreten. Mit
"Gloria, die Gangsterbraut", von dem Sidney Lumet einige Jahre später
ein Remake mit Sharon Tate realisierte, gelang Cassavettes auch seine
kommerziellste Arbeit. Der Film war damals ein guter Kinoerfolg und vor
allem Gena Rowlands überzeugte einfach - so sehr, dass sie mit dieser
Rolle sogar für den Oscar als beste Schauspielerin nominiert wurde.
Vielleicht hätte sie ja auch gewonnen, aber Sissy Spacek als "Nashville
Lady" machte er ein Strich durch die Rechnung, aber ich denke nach zwei
so hervorragenden, aber von der Academy nicht honorierten Leistungen in
"Badlands" und "Carrie" war Sissy Spacek im Jahr 1981 einfach an der
Reihe. Gena Rowlands war auch keine Unbekannte, immerhin gelang ihr 1975
schon eine Nominierung für "Eine Frau unter Einfluß" - ja, die besten
Rollen ihrer Karriere schrieb ihr der Ehemann John Cassavettes auf den
Leib. So glänzte sie auch in "Minnie und Moskowitz" oder in "Die erste
Vorstellung" (Opening Night). Cassavettes, der seinen schauspielerischen
Durchbruch in den 60s mit Filmen wie "Rosemarys Baby" oder "Das
dreckige Dutzend" hatte. Er gilt aber vor allem als Regisseur
unabhängiger Filme als der Wegbereiter und geistige Vater des
Independent-Kino. Er hatte damit angefangen und konnte eine ganze Reihe
von Filmen - ohne Hollywood-Einfluss - drehen, er war dabei Regisseur,
Drehbuchautor und Produzent seiner Filme.
"Gloria, die Gangsterbraut" hat sicherlich auch Luc Besson zu seinem
90er Hit "Leon, der Profi" inspiriert, denn die Ausgangslage ist in
beiden Filmen ähnlich. Eine Familie wird von Gangstern ermordet, eine
junges Mitglied der Familie überlebt, wird gejagt - kann aber auf die
Hilfe einer älteren Person zählen. In Cassavettes Fall ist es Gloria,
eine Gangsterbraut (Gena Rowlands). Eine Frau im mittleren Alter, die im
Süden der Bronx lebt und mit der Nachbarin Jeri Dawn (Julie Carmen)
befreundet ist. Der Zufall will es, dass Gloria bei ihrer Freundin
klingelt, weil ihr die Milch für den kleinen Kater ausgegangen ist.
Leider der falsche Ort und die falsche Zeit. Denn die Familie Dawn hat
wegen der Verstrickung des Vaters Jack (Buck Henry) Trouble mit der
Mafia. Jack hat zu viel ausgeplaudert und hat ein Notizbuch, dass die
Gangster in den Knast bringen könnte - mit dem Schlimmsten ist zu
rechnen. Jeri bittet Gloria, dass sie ihre Kinder mitnehmen soll, denn
sie rechnet jede Minute mit dem Eintreffen eines Killerkommandos. Die
Tochter weigert sich, der kleine Junge Phil (John Adames) folgt der
ruppigen Blondine dann widerwillig. Während er in Glorias Wohnung
Zuflucht findet, erscheint die Mörder und die Familie wird hingerichtet.
Doch sehr schnell kommen die Gangster dahinter, dass der Junge überlebt
hat und dieser auch von seinem Vater das brisante Notizbuch mit sich
führt. Und sie kommen auch dahinter, dass Gloria, eine gute Bekannte
dieser Verbrecher, die schützende Hand auf den Jungen hält. Gloria und
der Junge, das ungleiche Paar, werden zu Gejagten, aber auch in dieser
Zeit zu unzertrennlichen Freunden...
Ein Kehrtwende von Gefühlen. Denn Gloria gibt zuerst an, dass sie Kinder
gar nicht leiden kann. Und der kleine Phil benimmt sich mit seinen 6
Jahren schon wie ein Kreikäsehoch-Macho, der die etwas unfreundliche
Frau an seiner Seite auch nicht besonders mag. Doch dies wird sich im
Lauf der Geschichte ändern. Und Gloria erweist sich dabei als echt coole
Gangsterbraut, die - wenn es sein muss - den kleinen Mann auch mit der
Knarre erfolgreich verteidigen kann.
Auch heute wirkt Cassavettes Neo Noir noch sehr frisch und vor allem
atmosphärisch überaus dicht. Eines der Meisterstücke des Autorenfilmers
Cassavettes, der 1980 zum wiederholten Mal seine Ehefrau Gena Rowlands
als Hauptfigur einsetzte. In den Schluchten der Großstadt erkennt man,
dass es um Menschen und deren kaputte Beziehungen zueinander geht, die
Hommage an den Film Noir ist in jeder Szene zu spüren. Erst die
Begegnung mit dem Kind katapultiert die Frau aus ihrem Gefühlstief, aus
ihrer eigens auferlegten Eiszeit, die eine Norm in der anonymen
Großstadt ist.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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