Dienstag, 24. Oktober 2017

Der Schamane und die Schlange







































Regie: Ciro Guerra

Tauchfahrt ins Innere des Regenwaldes...

Kolumbien ist als Filmland weitestgehend unbekannt, dennoch hat es "Der Schamane und die Schlange" (Originaltitel: El abrazo de la serpiente) geschafft unter die fünf Oscar-Nominierten für den besten ausländischen Film zu gelangen. Wenn man Ciro Guerras Geschichte über die Mysterien einer fast vergessenen Kultur und den Schrecken der Kolonialisierung ansieht, weiß man aber sofort warum. Denn der in schwarz-weiß gedrehte Film ist mit seiner ruhigen und sehr nachdenklichen Geschichte einzigartig. Es gibt eine einzige kurze Sequenz in Farbe, die Kameramann David Gallego verwendet hat - dennoch taucht man als interessierter Zuschauer sofort in diese einzigartige Landschaft des Amazons ein. Kritiker haben den Film mit Werner Herzogs "Aguirre" verglichen - im Hinblick auf das Kolonialisierungsbestreben eines Paradieses liegt man da nicht falsch. Aber Ciro Guerras Geschichte ist weniger drastisch und bezieht sich dabei auf die Entdeckungsreisen zweier Wissenschaftler der Neuzeit. So spielt "Der Schamane und die Schlange" auf zwei verschiedenen Zeitebenen und zwei unterschiedliche Forscher, die allerdings beide das gleiche Ziel verfolgen. Die Suche nach der Heilpflanze Yakruna - oder Psychotria Viridis. Eine seltene Pflanzenart aus der Familie der Rötegewächse, die im Tieflandregenwald Südamerikas wächst und das psychedelisch wirksame halluzinogene Tryptamin-Alkaloid N,N-Dimethyltryptamin enthalten. Zusammen mit der Rinde deer Liane Banisteropsis caapi wird sie zur Herstellung der Droge "Caapi" verwendet. Bei den Eingeborenen gilt sie als Heilpflanze. Anfang des letzten Jahrhundert reist der Antropologe Theodor Koch Grünberg (Jan Bijvoet) mehrere Male nach Südamerika, dort will er das Leben der südamerikanischen Indianer erforschen. Auf einer dieser Reise erkrankt der Forscher. Mit Hilfe des jungen Manduca (Yauenkü Migue) gelangt er in den Dschungel, wo der sich von dem jungen Schamanen Karamakate (Nilbio Torres) eine Heilung seines Leidens erforscht. Dazu benötigt er aber die Heilkraft der Yakruna Pflanze. Zuerst weigert sich der Einsiedler Karamakate zu helfen, doch dann breichen die drei Männer mit einem Boot auf zu einer Odyssee, wo sie Pausen (einmal bei Karamakates Stamm und einmal in einer katholischen Mission) einlegen. Immer wieder wird diese Reise mit einem Zeitsprung unterbrochen, der dem Zuschauer eine zweite Reise durch das Amazonasgebiet zeigt. Zu Beginn des 2. Weltkrieges ist der amerikanische Biologe Richard Evans Schultes (Brionne Davis) auf exakt der gleichen Reise wie 30 Jahre vor ihm der deutsche Volkskundler Koch-Grünberg. Schultes hat sich der Erforschung von Plfanzen gewidmet und auch er ist auf der Suche nach Yakruna. Sein Begleiter ist der alte Schamane Karamakate (Antonio Bolivar). Kolonialisten haben seinen Stamm ausgerottet, und aus dem wütenden, jungen Karamakate ist ein geknickter, von Selbstzweifeln geplagter Mann geworden. Er empfindet sich schon seit langer Zeit als seelenloser Wiedergänger und hat den Zugang zur Geisterwelt verloren. Ein zweites Mal bricht der Schamane auf die Pflanze für einen Wissenschaftler ausfindig zu machen...




Auf dieser Reise ist noch mehr sichtbar, dass der Fortschritt auch Zerstörung einer alten, wichtigen Welt bedeutete. Meistens war es der Kautschuk, der die Europäer in den Regenwald brachte. "Der Schamane und die Schlange" regt sehr zum Nachdenken an. In einer aussergewöhnlich intensiven Sequenz wird zum zweiten Mal - 30 Jahre danach - die katholische Mission gezeigt. Es ist offensichtlich, dass die eingeborenen Kinder von damals, zum Christentum mit Schlägen gezwungen , nun eine eigene Welt im Dschungel aufgebaut haben. Als Karamakate dies sieht ist ihm klar, dass diese Gemeinschaft das schlechteste aus beiden Welten übernommen haben. Der Film entstand in den Amazonasregionen von Kolumbien. Passend auch der hypnotische Soundtrack von Nascuy Linare. Mehrmals erinnert dieser eindrückliche Reisebericht aus zwei unterschiedlichen Zeiten an die intensive Kraft von Joseph Conrads Roman "Heart of Darkness" und damit an Coppolas "Apocalypse Now". Denn diese Reisen werden auch zum spirituellen Abenteuer, zu einem psychedelischen Trip ins Innere. Man wird gezwungen über die destruktive Macht des Kolonialismus nachzudenken - genauso muss es auch bei der Urbarmachung des Wilden Westens gewesen sein und bei vielen anderen Übernahmen durch den weißen Mann. Mit der Übernahme dieser neuen Macht, verschwindet zwangsläufig eine alte, vielleicht sehr wertvolle Zivilisation. Eine Tauchfahrt ins Innere dieses Regenwaldes.



Bewertung: 9 von 10 Punkten.

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