Regie: Ang Lee
Ein amerikanischer Simplicissimus....
"Die irre Heldentour des Billy Lynn" ist wahrscheinlich einer der
wenigen Filme von Ang Lee, die an der kinokasse eine regelrechte
Bauchlandung hinlegten. Bei einem Budget von 48 Millionen Dollar spielte
der Filme bisher nur 30 Millionen Dollar wieder ein. Ein finanzielles
Desaster und auch die Lee ansonsten wohlgesonnen Kritiker waren sich
nicht schlüssig. Man bemängelte wenig Inhalte, wenig Höhepunkte und auch
einen etwas altmodischen Inszenierungsstil. Der Film des Regisseurs
solcher Welterfolge wie "Tiger and Dragon", "Brokeback Mountain" oder
"Life of Pi" wird aber m.E. total zu Unrecht kritisiert, für mich hat er
mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ben Fountain sein
bisher vielleichtt bestes Meisterwerk geschaffen.
Vom satirisch-galligen Gehalt erinnert die Geschichte vom kurzen
Heimaturlaub einer Elite-Einheit der US-Army an den Klassiker "Catch
22", die Geschichte selbst weist Ähnlichkeiten mit Clint Eastwood viel
ernsterem "Flags of our Fathers" auf.
Ein Film, der ganz nahe am Protagonisten Billy Lynn (Joe Alwynn) ist für
mich sogar wie ein moderner naher Verwandter von des abenteuerlichen
Simplicissimus, dem Held aus dem Schelmenroman von Hans Jakob
Christoffel von Grimmelshausen (geschrieben 1668 und beschreibt
Initiationserlebnis, die episodische Reise durch die Gesellschaft der
Gegenwart und die Selbstreflektion des Helden).
Der britische Youngster Joe Alwyn ist dieser hin- und hergerissene Billy
und er verkörpert ihn total perfekt, er trägt den Film mühelos im
Alleingang. Erwähnenswert aber auch die oscarreife Performance von
Garrett Hedlund als sarkastischer und dynamischer Staff Sergeant David
Dime.
Die Geschichte folgt den acht Soldaten der Bravo Squad Einheit (neben
Alwynn und Hedlund spielen Beau Krapp, Mason Lee, Barney Harris, Arturo
Castro, Ismael Cruz Cordova, Stro), die von den Medien aufgrund zufällig
gefilmter Aufnahmen während eines Gefechts im Irak plötzlich zu den
Helden der Stunde erklärt werden. Dabei steht der junge Texaner Billy
als die Hauptfigur im Rampenlicht, denn der hatte versucht bei einem
Kampf seinem Vorgesetzten Shroon (Vin Diesel) das Leben zu retten.
Leider kam er zu spät, doch die Bilder gingen um die Welt und nun findet
er sich neben seinen Kameraden auf einer 1wöchigen Propagandatour in
der Heimat. Letzte Station nach diversen Einkaufszentren und
Fernehauftritten ist ein gemeinsamer Auftritt mit den Girls von
Destiny´s Child während der Halbzeitpause des Footballspiels der Dallas
Cowboys. Danach müssen die Jungs zurück ins Kriegsgebiet. Während dieser
Tour schießen dem jungen Billy immer wieder Bilder der Vergangenheit in
den Kopf. Eindrücke von den Kampfhandlungen und von der starken
Kameradschaft unter den Soldaten. Er besucht seine Familie und wie immer
wird am Tisch gestritten, denn seine Schwester (Kristen Stewart) ist
eine Kriegsgegnerin, die nicht will, dass ihr geliebter Bruder bei der
"Befreiung" des Irak sein Leben lässt.
Überhaupt holt Ang Lee die Geschichte ganz nah an den Zuschauer heran:
Die Schauspieler blicken bei ihm, während sie reden, direkt in die
Kamera und nicht, wie im konventionellen Kino üblich, knapp daran
vorbei. Aber das war Ang Lee nicht nah dran genug. Er wollte noch mehr
und durch seine Genialität ist "Die irre Heldentour des Billy Lynn"
mittendrin im Geschehen und gibt den Bildern eine extreme Dichte,
ähnlich stark gemacht wie in seinem ebenfalls unterschätzten "Woodstock"
Movie. Man kann beinahe jede einzelne Pore im Gesicht der Darsteller
sehen.
Dabei entsteht auch automatisch ein Spiegelbild von einem damals (die
Geschichte spielt 2004) schon sehr gespaltenen Land, es macht sich nicht
nur beim gemeinsamen Mittagsessen in der Familie bemerkbar - auch bei
der Bevölkerung stoßen Billy und seine Kameraden nicht nur auf die naive
Heldenverehrung ihrer Landsleute, sie werden bei dieser irrwitzigen
PR-Maschinerie auch mit kaum verholener Abneigung von einigen empfangen.
Der Film gibt viele Eindrücke wieder und ebenso viele Subtexte, die
nachdenklich machen. Für wenig Lohn führen diese Männer im Namen der USA
Kriege. Vieleicht ist ja das einer der Kritikpunkte - Ang Lee hält die
Kamera auf das Geschehen und erlaubt dem Zuschauer sich selbst Gedanken
zu machen. Dabei gibt er auch keine Ziele vor und keine Intention zu
erkennen. Wer einen Antikriegsfilm erwartet, der liegt falsch. Die
Kameradschaft unter den Männern wird sehr groß geschrieben und erfährt
eine Art Poesie in den Ritualen der Männer "Ich liebe dich" dies sagt
Sergeant Shroom jedem seiner Soldaten vor einem lebensgefährlichen
Einsatz und er schaut den Jungs dabei ins Gesicht. Er glaubt auch an die
fernöstlichen Glaubenslehren und meint zu Billy "die Kugel, wenn sie
dich wirklich treffen soll, ist schon längst abgefeuert". Eine Art
Hoffnung inmitten dieser PR-Kampagne mit vielen Geschäftemachern, die
nur darauf lauern Money zu machen - Ang Lees Film handelt von Krieg und
von Religion, von Football und von der Glotze. Aber auch von Heimat, von
Familie, Freundschaft und Liebe. Während des ereignisreichen Tages
lernt er die engelsgleiche Cheerleaderin Faison (Makenzie Leigh) kennen.
Sehr viel Augenkontakt führt zu Küssen hinter den Kulissen und Billy
würde gerne mit diesem Mädchen fliehen und glücklich alt werden. Doch er
erkennt, dass das Mädchen vor allem den Helden in ihm liebt und nicht
den Mensch mit Schwächen, der dahintersteckt. Zum Abschied gibts ein
Kuss, die Telefon-Nummern werden ausgetauscht und sie verspricht ihm
treuherzig für ihn zu beten und ihn wieder zu treffen. Auch die
Schwester hat kein Glück den Bruder aus dem Militär zu holen. Am Ende
entscheidet er sich für seine Kameraden. Wohl deshalb, weil er sonst
keine Heimat mehr findet. Diese ist ihm fremd geworden und ähnlich
künstlich aufgebauscht wie dieser Thanksgiving Day mit Fernehübertragung
ist es nicht mehr - ein Land zwischen Frivolität und Bigotterie.
Immer wieder fällt ein einfallsreicher Schnitt auf - die Bravo Einheit
läfut im Stadion durch eine wachsende Menschenmenge und dann wird
übergangslos auf einen überfüllten Basar im Irak geschnitten. Jeder
Passant könnte ein potentieller Angreifer sein und ein entlarvender
Bezug zwischen beiden Szenarien ist hergestellt. Mit John Toll als
Kameramann (Legenden der Leidenschaft, Braveheart, Der schmale Grat)
wurde einer der besten seiner Zunft verpflichtet. Interessanterweise
kann man "Die irre Heldentour des Billy Lynn" auch mit einigen Robert
Altman Klassikern wie "Nashville" oder "Eine Hochzeit" in Verbindung
bringen. Dessen Stärke war die Inszenierung eines Events mit vielen
kleinen Episoden, die Rückschlüsse auf das Große Ganze geben. Hier in
dieser gezeigten Entertainment-Maschine mit Pyrotechnik und Marschmusik
ist es ebenso, der entfernte Krieg wird zu einem Stück Popkultur, der
Soldat zu einem begehrten Popstar für einen Tag. Für mich hat "Die irre
Heldentour des Billy Lynn" Potential zum Film des Jahres.
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
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