Dienstag, 12. November 2019

Jeder für sich und Gott gegen alle







































Regie: Werner Herzog

Der Findling Kaspar Hauser...


"Jeder für sich und Gott gegen alle" ist ein Film von Werner Herzog aus dem Jahr 1974 über den Findling Kaspar Hauser, der in der Biedermeierzeit nicht nur in Nürnberg, sondern in ganz Europa für Furore sorgte. Der etwas 16jährige Jugendliche wirkte geistig anscheinend zurückgeblieben und redete nur einige Worte, als er plötzlich verloren auf dem Unschlittpaltz stand. Im Film wird Kaspar Hauser von Bruno S. gespielt, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 42 Jahre alt war. Dennoch überzeugt der Schauspieler von der ersten Sekunde an, wo der Zuschauer in einem düsteren Verlies sieht. Er spielt gerade mit einem Holzpferd und wird von einem unbekannten Mann (Hans Musäus) besucht, der ihm einige Worte lehrt und ihm schließlich auch seine Freiheit gibt. Das Laufen fällt dem Gefangenen sichtlich schwer, so dass dieser Unbekannte ihm behilflich ist, bis die Stadt erreicht wird.
Ein Ehepaar sieht vom Fenster aus diesen verloren wirkenden Menschen. Der Mann geht zu ihm hinunter und fragt ihn, ob man ihm behilflich sein könnte. Kaspar Hauser drückt ihm einen Brief an einen Kavallerieoffizier (Henry van Lyck) in die Hand. Dort steht geschrieben, dass der seltsame Findling der Obhut des Offiziers empfohlen wird. Der ist ratlos, wie auch alle Bewohner der Stadt. Aber alle wollen den Fremden sehen. Im Staatsgefängnis findet er eine Herberge und wird verpflegt. Mühsam lernt man ihm auch die Sprache. Er wird untersucht von Professoren (u.a. Alfred Edel), der Pastor (Enno Patalas) hat Fragen und der Stadtschreiber (Clemens Scheitz) bemüht sich alles in einem Protokoll festzuhalten. Da die Verköstigung der Stadt Kosten verursacht, muss sich Kaspar Hauser in einem Circus als Kuriosität präsentieren. Der Zirkusdirektor (Willy Semmelrogge) hat auch mit dem jungen Mozart (Andy Gottwald) , dem kleinen König (Helmut Döring) und dem Artisten Hombrecito (Kidlat Tahimik) noch weitere Zugpferde, die von der Menge neugierig begafft werden. Dann nimmt ihn aber der verständnisvolle Professor Georg Friedrich Daumer (Walter Ladengast) bei sich auf. Dort wird er freundlich behandelt und Frau Käthe (Brigitte Mira), die Haushälterin des Professors, pflegt ihn aufopfernd und liebevoll. Er lernt in dieser Zeit Sprechen, Lesen und Schreiben. Doch das Geheimnis seiner Herkunft bleibt weiterhin im Dunkel. Dann wird ein Attentat auf Kaspar verübt, doch die Verletzung sind nicht allzu groß. Dieses Ereignis macht ihn aber bekannter und der englische Globetrotter Lord Stanhope (Michael Kroecher) will ihn sogar adoptieren. Als Kasper jedoch bei einem Empfang für einen Eklat sorgt, distanziert sich der Dandy und Kaspar bleibt weiterhin bei Daumer. Eines Tages kommt Kaspar mit einer Verletzung nach Hause, man hat ihm wohl ein Messer in die Brust gestoßen. Diese Verletzung führt zum Tod. Am Sterbebett erzählt Kaspar den Traum von einer Karawane, die von einem blinden Berber in die Stadt geführt wird. Sie erreichen diese Stadt, aber an den weiteren Verlauf dieses Traumes kann er sich nicht mehr erinnern...





Eine Szene des Films, die den Titel "Jeder für sich und Gott gegen alle" erklärt, fiel der Schere zum Opfer. Dort wird das Zitat aus dem Film "Macunaima" von Joaquin Pedro de Andrade herangezogen und der Protagonist sagt "Wenn ich um mich sehe und die Menschen betrachte, habe ich das Gefühl, dass Gott etwas gegen sie haben muss". Herzog skizziert einen fast schon erwachsenen Menschen, der von 0 auf 100 ganz brutal in eine fremde Welt hineinkatapultiert wird. Er hat diese Welt noch nie gesehen und ist dementsprechend irritiert. Er lernt Regeln kennen, versteht jedoch den Sinn dahinter kaum und wird von den Menschen begafft, ausgelacht und bemitleidet. Herzog war sehr daran gelegen seinen Kaspar Hauser als leeres Gefäß darzustellen. Der Film wird oft mit Truffauts "Der Wolfsjunge" verglichen, doch Herzogs Film ist weniger nüchtern und bietet einige Kuriositäten. Dies sorgt für eine zusätzliche Faszination, trotz der spröden und fast schon traurigen Machart. Die Biedermeierzeit wird grandios eingefangen und in diesem Zusammenhang darf auch die große Leistung von Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein nicht unerwähnt bleiben, der zweimal den deutschen Filmpreis gewinnen konnte und auch für die Bilder von Herzogs späterem Meisterwerk "Nosferatu" verantwortlich ist. Herzogs Film ist ganz anders als die Neuverfilmung "Kaspar Hauser" von Peter Sehr aus dem Jahr 1992, aber auf alle Fälle ein großes Meisterwerk.





Bewertung: 10 von 10 Punkten. 
 

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