Regie: Carol Reed
Fagin und seine Jungs...
Die Jahre 1968 bis 1970 markieren einen gewissen Wendepunkt in der
Oscargeschichte. Während bei der Oscarwahl 1969 das opulente Musical
"Oliver" von Carol Reed zum großen Sieger erklärt wurde, ging der
innovative Konkurrent "2001 - Odyssee im Weltraum" mit nur einer Trophäe
für die besten visuellen Effekte nach Hause. Er wurde damals auch nicht
in der Kategorie "bester Film" berücksichtigt. Der Oscar brauchte eine
Verjüngungskur, denn die Academy versuchte damals althergebrachte
Erfolgsmuster weiter am Leben zu erhalten. Die 60er Jahre brachte
alleine in der Kategorie "Bester Film" vier Musicals als Sieger hervor:
West Side Story, My Fair Lady, The Sound of Music und Oliver. Die
Oscarnacht 1970 brachte dann eine Überraschung zustande: "Hello Dolly"
mit Topstar Barbra Streisand wurde in dieser wichtigsten Kategorie von
einem sehr düsteren Film geschlagen, denn John Schlesingers "Asphalt
Cowboy" gewann diesen Hauptpreis. Und "Easy Rider " ein Film der 68er
Generation erhielt immerhin 2 Nominierungen.
"Oliver" brachte dem britischen Regisseur Carol Reed ein echtes
Comeback, denn seine größten Erfolge wie "Ausgestoßen" und vor allem
"Der dritte Mann" lagen schon lange Jahre zurück. "Oliver" basiert auf
dem gleichnamigen Bühnenmusical von Lionel Bart, ein Adaption des
berühmten Romans "Oliver Twist" von Charles Dickens. Dieser düstere
Roman über ein Waisenkind, das im Armenhaus groß wird wurde mehrfach
verfilmt. Die Versionen von David Lean aus dem Jahr 1948 und von Roman
Polanski aus 2007 sind nahezu perfekt. Bei Reeds Muscialversion muss man
sich vielleicht daran gewöhnen, dass viele Szenen gesanglich und
tänzerisch sind. Dennoch ist Carol Reed ein bezaubernder Film gelungen
mit sehr vielen klasse Szenen und genauso guten Darstellerleistungen.
Gute Kasse machte das Musical auch und landete mit 74 Millionen Dollar
auf Platz 5 der Kino-Jahrescharts.
In einem Arbeitshaus in Dunstable wird den Waisenkindern der
tägliche Haferbrei serviert. Eine Gruppe von Jungen ziehen Lose, wobei
der kleine Oliver (Mark Lester) als einziger den verhedderten Strohhalm
zieht. Dies zwingt ihn dazu aufzustehen und Mr. Bumble (Harry Secombe)
und der Witwe Corney (Peggy Mount) um ein weiteres Tellerchen Brei zu
bitten. "Ich will noch mehr, bitte Sir" wird aber als solche Frechheit
angesehen, dass der Junge verkauft werden soll. Mr. Sowerberry (Leonard
Rossiter) kauft den Jungen, weil er ihn besonders für Kinderbeerdigungen
als Bestatter brauchen könnte. Sowerberrys etwas älterer Lehrling Noah
Claypole (Kenneth Granham) schikaniert den Neuling wo er nur kann. Als
er Olivers Mutter, die bei der Geburt starb, aufs übelste beledigt,
kommt es zum Rinkampf der Beiden und anschließend wird Oliver in den
Keller gesperrt. Er kann fliehen und versucht in London ein neues Leben
zu beginnen. Dort trifft er auf den Artful Dodger (Jack Wild), der ihn
sofort unter seine Fittiche nimmt und ihm auch ein Quartier zum Schlafen
anbietet. Das befindet sich bei Fagin (Ron Moodey), Der jüdische Hehler
verköstigt Oliver und Fagin hat eine ganze Meute von elternlosen Jungs
bei sich beherbergt. Alle diese Jungs wurden von ihm zu versierten
Taschendieben ausgebildet. Artful Dodger ist der Beste von Ihnen. Noch
ehe Oliver die Kunst des Stehlens erlernen kann, wird er bei der
Diebestour - ohne Dieb zu sein - fälschlicherweise dafür gehalten und
verfolgt, er kommt ins Gefängnis. Doch als das Opfer Mr. Brownlow
(Joseph O´Connor) sich sicher ist, dass der Junge nicht der Dieb war,
nimmt er ihn bei sich auf. Eine Wendung, die sowohl Fagin noch dem
äusserst brutalen Eigenbrötler Bill Sykes (Oliver Reed), mit dem Fagin
Geschäfte macht und dessen Freundin Nancy (Shani Wallis) Sorgen
bereitet. Denn der Junge könnte der Polizei zuviel von den kriminellen
Machenschaften erzählen, das Versteck der Diebesbande ausplaudern, so
dass Fagin und Sykes am Galgen enden. Bald schmiedet Sykes einen Plan,
wie er den unliebsamen Mitwisser aus dem Wege räumen kann...
Am Ende ist es Sykes Hund Bully, der die aufgebrachte Menge zu
seinem Versteck führt. Anders als im Roman kommt der Gauner Fagin in der
Musical Version mit dem Leben davon und endet nicht am Galgen.
Gemeinsam mit Artul Dodger tanzen sie durch eine Gasse im nächtlichen
London, bereit für einen neuen Anfang und damit auch für weitere
Schandtaten. Der Kinderdarsteller Jack Wild liefert eine überzeugende
Darstellung, für die der damals 15jährige Junge eine Oscarnominierung
bekam. Auch Ron Moodey als Fagin wurde in der Kategorie "bester
Hauptdarsteller" berücksichtigt, unterlag jedoch Cliff Robertsons
Leistung in "Charly".
Neben der Auszeichnung als bester Film gab es weitere Oscars für
die grandiose Ausstattung, die Choreographieleistung von Onna White
wurde mit einem weiteren Oscar bedacht. John Greens Musik gewann in
seiner Kategorie, das Shepperton studio Sound Department durfte den
Preis für den besten Ton entgegennehmen So auch der Regisseur selbst.
Das British Film Institute, die Reeds Meisterwerk "Der dritte Mann" zum
besten britischen Film aller Zeiten wählten, erkannten auch die Qualität
seines Musicals und setzten "Oliver" in der gleichen Umfrage der All
Time Top 100 auf Platz 77.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.