Regie: Michail Kalatosow
Menschen im Krieg...
Zu seiner Entstehungszeit wurde der Sowjetfilm "Die Kraniche ziehen"
sehr gelobt, weil er den vaterländischen Krieg nicht als Heldenepos
aufzog, nicht das Kollektiv hervorhob sondern zeigt, dass der Krieg für
den Einzelnen ein katastrophales Drama bedeutet.
Heute begeistert vor allem die grandiose Kamera-Arbeit von Sergej
Urussewski, seine Kamera ist immer in Bewegung und ist bereits in der
ersten Sequenz zu sehen, wenn die beiden Liebenden Weronika (Tatjana
Samoilowa) und Boris Borosdin (Alexei Balalow) in Moskau noch eine
unbeschwerte Zeit verbringen und sehnsüchtig in die gemeinsame Zukunft
blicken. Am Himmel ziehen die Kraniche vorbei. Es ist 1941, der
Einmarsch der Deutschen steht aber kurz bevor.
Es gibt zwei weitere Szenen, die die Weltklasse-Leistung von Sergej
Urussewski belegen, der Regisseur Michail Kalatosow ließ ihm bei der
visuellen Gestaltung völlige Freiheit. Es wird dort gezeigt wie sich
Weronika durch die wogende Menge zwingt, sie will von ihrem Liebsten
Abschied nehmen. Doch es sind so viele Leute auf dem Sammelplatz,
verzweifelt versucht sie zum Zug der Soldaten zu gelangen, doch das
Gewimmel ist zu groß. Immer wieder Menschenmengen und dann der
abfahrende Zug.
Am Ende des Films wiederholt sich die Szene als die Menschen nach dem
Krieg die heimkehrenden Soldaten erwarten. Und wieder ist Weronika da
mit einem Strauß Blumen und hält Ausschau nach ihrem Boris.
Neben dem Gesicht des damaligen Neulings Tatjana Jewgenjewna Samoilowa
sind es vor allem diese atemlos flüssige Kamerafahrten, die den Film
auch heute noch immer als Meisterwerk ausweisen.
Leider hat sich Boris freiwillig gemeldet, denn er hält es für die
vaterländische Pflicht den Kampf gegen den Faschismus aufzunehmen. Die
geplante Heirat muss warten. Er schenkt seinem Mädchen ein
Stofftier-Eichhörnchen, weil das ihr Kosename ist. Doch der jüngere
Bruder von Boris, der Musiker Mark (Alexander Schworin) ist ebenfalls
heimlich in Weronika verliebt und macht ihr auch in der Abwesenheit des
Bruders immer wieder Avancen. Der Arzt Fjodor (Wassili Merkurjew),
Vater von Ihnen bemerkt nichts. Auch nicht Irina (Swetlana Charitonowa),
die wie ihr Vater Medizinerin werden will. Bei einem verheerenden
Bombenangriff auf Moskau sterben die Eltern von Weronika. Sie wird bei
den Borosdins aufgenommen. Bei einem weiteren Bombenangriff nutzt Mark
die Gunst der Stunde und bedrängt Weronika so lange, dass die Verführung
Erfolg hat. Sie heiratet ihn und obwohl sie nun offizielles Mitglied
der Familie ist, ist der Vater sehr distanziert und Irina kann ihrer
Schwägerin den Fehltritt nie verzeihen. Die Ehe wird auch nicht
glücklich, denn immer noch hängt Weronika ihrer großen Liebe Boris nach.
Der wird bei einem gefährlichen Fronteinsatz schwer verletzt...
Dabei ziehen noch einmal Bilder an ihm vorüber. Bilder, einer Zukunft,
die es so nie geben wird. Er sieht sich als Bräutigam neben der Braut
Weronika, beide strahlen verliebt. Wieder eine furios gestaltete Montage
der Vision eines Sterbenden. Doch das Glück ist nun zu Ende. Der Film
von Michail Kalatosow zeigt eindrücklich, dass der Sieg gegen die Feinde
Opfer hervorgebracht hat. Boris verliert das Leben, Weronika wurde
unglücklich, auch wenn sie am Ende des Films die Blumen, die für Boris
gedacht waren, an die Menschenmenge verteilt. Dennoch am Ende ein
hoffnungsvolles Bild, weil die Kraniche, die über Moskau vorbeiziehen,
die Menschen etwas Schönes sehen lässt.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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