Freitag, 1. Juni 2018

Tätowierung







































Regie: Johannes Schaaf

Ein Schuß in die Freiheit...

Westberlin, irgendwann in den 60er Jahren: Der 16jährige Benno (Christoph Wackernagel) lebt in einem Jugendheim. Irgendwie ist er an eine Knarre gekommen, die ihm die anderen Jungs gerne abnehmen würden. Doch er hat sie versteckt. Seine Heimgenossen sind nicht zimperlich, mit einem Drillbohrer soll er soweit gebracht werden, dass er das Versteck der Pistole verrät. Bevor er richtig verletzt wird, geht ein Erzieher dazwischen. Das Glück könnte es sogar gut meinen mit dem schwer erziehbaren Heimkind. Denn das sozial engagierte Fabrikantenehepaar Lohmann (Alexander May/Rosemarie Fendel) adoptiert ihn. Es ist eine völlig andere, sehr fremde Umgebung in die Benny hineingeworfen wird. Die neuen Eltern gehen sehr mild mit ihm um, die Fürsorglichkeit wird sehr groß geschrieben und für alles herrscht nun großes Verständnis.  Lohmann ist gut situiert, er betreibt eine kleine Mosaikfabrik in der Nähe der Berliner Mauer. Engagiert versucht der Mann Benny bürgerliche Verhaltensregeln, Moralverständnis und sogar deutsche Geschichte beizubringen. Neben Benny gehört auch die junge Gaby (Helga Anders) zur Familie, auch sie wurde von den Lohmanns angenommen. Benno kann aber weiterhin kein Fuß ins bürgerliche Leben fassen. Die begonnene Lehre als Koch ist ihm zuwider und er geht schon am nächsten Tag nicht mehr hin. Statdessen hängt er mit dem Kleinkriminellen Sigi (Heinz Meier) rum, der ihm sein Motorrad aufmotzt und ihn mit ins Autokino nimmt. Zuhause hat der Adotivvater wieder die zündende Idee zur Integration ins bürgerliche Leben: Er besorgt ihm einen Job bei seinem Bruder, einem Teppichhändler (Tilo von Berlepsch). Doch ein Teppichklau, wo der Junge 100 Mark verdient, versaut ihm auch selbstverschuldet die zweite Chance. Immerhin kommen sich Gaby und Benny näher. Die Ersatzeltern billigen diese erste Liebe des Jungen. Sie schlafen miteinander. Am anderen Morgen ist Gaby verändert, für sie war das nur ein weiterer Flirt und erteilt Benny, der ihr nachläuft, eine herbe Abfuhr. Desillusioniert zieht es Benno zum Jugendhof, von dem er vorher geflohen war. Die Jungens spielen dort Fußball und Benno will spontan mitspielen. Doch auch in diesem Moment der Freunde wird er zum Aussenseiter abgestempelt. Er kehrt nach Hause zurück. Dort entschließt man sich bei diesem strahlenden Frühlingswetter zu einem schönen Spaziergang. Es kommt zur Katastrophe...




Diese Schlußszenen treffen den Zuschauer wie mit einem Vorschlaghammer in Johannes Schaafs großartigem Meisterwerk "Tätowierung" aus dem Jahr 1967. Ein Film, der leider inzwischen irgendwie vergessen wurde und dennoch zu den ganz großen deutschen Filmen der 60er Jahre gehört. Dies sah auch die Jury bei der Vergabe des deutschen Filmpreises im Jahr 1968: Der Film gewann das begehrte Filmband in Gold, auch Darsteller Alexander May erhielt den Preis, ebenso der in Stuttgart geborene Regisseur.
Nach diesem riesigen Kritikererfolg drehte Schaaf mit "Trotta" (1971), "Traumstadt"(1973) und "Momo" weitere Kinofilme.
Es ist kein leichter Stoff, den Schaaf hier präsentiert. Eine Geschichte über ein kinderloses Ehepaar, beides Gutmenschen und mit vollem Elan und Engagement gegen soziale Ungerechtigkeit zu Gange. Sie haben die Möglichkeit und die Beziehungen Wege zu ebnen und hinderliches Geröll aus dem Weg zu räumen. Doch hinter dieser Maskerade verbergen sich vielleicht auch niedere Motive, die in der Heuchelei untergehen, aber von Schaaf in sehr subtiler und stimmiger Weise hervorgeholt werden. So erscheint die gutbürgerliche Fassade sehr schnell als extrem künstlich und unwirklich, man hat - trotz der betulichen und liberalen Art der Wohlstandbürger - sehr schnell auch als Zuschauer ein unbehagliches Gefühl bei dieser grenzenlosen Toleranz, die keine richtige Emotion zulässt.  So wünscht sich der Auserkorene sehr schnell die frühere Hölle "Erziehungsheim" zurück, denn dort spürte er noch Widerstand.
Es ist ein sehr provozierender, aber sehr ehrlicher, ungeschminkter Film mit vier hervorragenden Darstellern. Christoph Wackernagel imponiert als Aussenseiter, der seinen Platz im Leben sucht. 1977 geriert de Darsteller, der mit der Rote Armee Sympathie sympatisierte, sogar in Verdacht an der Entführung und späteren Ermordung von Arbeitgeberpräsident Schleyer beteiligt gewesen zu sein. Nach seiner Festnahme verbüßte der 1951 geborene Schauspieler eine lange Haftstrafe bis 1987. Gelegentlich trat er danach wieder in Filmen auf, u.a. in "Der bewegte Mann" oder "Männerpension". 




Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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