Regie: Federico Fellini
Der große Liebhaber von Venedig....
"Fellinis Casanova" entstand im Jahr 1976 und wird nicht zu
den stärksten Filmen des Regisseurs gezählt, obwohl beim näheren
Hinsehen doch ein weiteres opulentes Meisterwerk erkennbar wird.
"Casanova" gliedert sich in eine Reihe von Episoden, die auf einer
freien Gestaltung von Begegnungen und Ereignissen aus der Autobiographie
von Casanova basieren.
Dabei hat seine Odyssee durch Europa auch gewisse Ähnlichkeiten mit
Stanley Kubricks Historienfilm "Barry Lyndon", der einige Monate vorher
in die Kinos kam. Auch dort werden die Abenteuer, Aufstieg und Fall
eines Mannes beschrieben, der quer durch Europa reist und versucht
seinen Platz in adligen Kreisen zu sichern. Kubricks Film spielt
ebenfalls Mitte des 18. Jahrhundert, zur Zeit des Spätbarock - Fellinis
Casanova ist so etwas wie sein grotesker Verwandter. Interessanterweise
hat sich Fellini entschieden die Titelrolle an Donald Sutherland zu
vergeben, weil dieser sehr wenig dem Bild von Casanova entsprach. Das
Wagnis ist aber total geglückt, auch weil Kameramann Giuseppe Rotunna es
so vorzüglich verstand dessen Profil so effektiv abzulichten. Diese
Bilder bleiben hängen und lassen auch gleich den Gedanken vergessen wie
wohl Marcello Mastroianni diese Rolle gestaltet hätte. Der wäre als
Fellinis Lieblingsdarsteller naheliegend gewesen und der bekam aber
tatsächlich 1982 in Ettore Scolas "Flucht nach Varennes" die Möglichkeit
seinen Casanova zu präsentieren. Als Chevalier de Seingald reist er in
einer Kutsche zur Zeit der französischen Revolution und setzt auch auf
eine groteske Komponente in der Darstellung. So setzte er dort fort, was
auch Fellini in seinem Biopic hervorstreichen wollte: Ein würdevoller
Mann, dem man die Last seines Rufes anmerkt und der dadurch auch etwas
lächerlich wirkt, aber dennoch Tiefe erblicken lässt.
Der Film beginnt mit dem Karneval in Venedig und in einer
prunkvollen Zeremonie in Anwesenheit des Dogen soll der riesige Kopf der
Göttin Luna aus der Tiefe des Canal Grande auftauchen. Da dies nicht
gelingt, weil eines der Seile reßt, versinkt die gigantische Büste
wieder ind der Tiefe. Die Menschen denken sofort an ein böses Omen.
Unter den Zuschauern ist auch Casanova (Donald Sutherland), der bereits
seinen Ruf als bester und ausdauerndster Liebhaber gefestigt hat. Er
bekommt die Einladung zu einem erotischen Abenteuer mit einer Nonne
(Margareth Clementi), das von einem unbekannten Voyeur beobachtet wird.
Danach wird er aber in Venedig festgenommen und wegen "Schmähungen gegen
die heilige Religion" und in den Bleikammern inhaftiert. Dort gelingt
ihm nach 15 Monaten die Flucht und es beginnt seine Reise aus Zwang quer
durch Europa, denn er liebte seine Heimatstadt Venedig.
Er wird Gast am Pariser Hof der bereits betagten Madame D´Urfe
(Cicely Browne), sie interessiert sich nicht nur für Casanovas großes
Wissen über Alchemie. Am Hof des buckligen Adligen Du Bois (Daniel
Emifork) lernt er die große Liebe seines Lebens kennen. Doch Henriette
(Tina Aumont) verschwindet und lässt ihn alleine zurück, weil wohl ein
hoher europäischer Adliger Besitzansprüche erhebt.
In London wird Casanova von Mutter und Tochter ausgeraubt, will
sich in der Themse ertränken - doch beim Anblick einer Riesin (Sandra
Elaine Allen) und zwei Zwergen am Ufer sieht er ein Zeichen am Leben zu
bleiben. Doch diese drei Personen sind real und nach einem kurzen
Intermezzo ist er Gast bei einer ausschweifenden, wüsten Party von Lord
Talou in Rom, dort misst er sich in der sexuellen Ausdauer mit einem
einfachen Postkutschenfahrer. Er reist nach Bern - verliebt sich dort
Isabelle (Olimpia Carlisi) , Tochter des Alchimisten Dr. Möbius (Mario
Cencelli). Die will er in Dresden wiedersehen, doch stattdessen gehts
weiter mit Orgien und im Alter findet der Frauenliebhaber eine
Anstellung als Bibliothekar von Graf Waldstein auf dessen Schluß in Dux.
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Adelskreise ihn wohlwollend bei
seich aufnahm. Nun ist er dazu gezwungen mit anderen Bediensteten zu
essen und wird von einem Diener und dessen Liebhaber gemobbt...
Die letzte Szene zeigt einen erschöpften alten Mann mit
blutunterlaufenen Augen, der in einem Sessel sitzt und sich langsam mit
dem Tod auseinandersetzt. Er träumt von seiner Heimat Venedig und im
Traum sieht er die riesige Büste, die zu Beginn des Films zu sehen war
und unter dicken Eisschichten in der Lagune vergraben ist. Er sieht
seine vergangenen Liebhaberinnen, eine reich verzierte Postkutsche winkt
ihm zu, er solle sich seinen Passagieren anschließen. Dann trifft er
zum zweiten Mal die mechanische Puppe Rosalba, die von Leda Lojodice,
und sie tanzen leise miteinander. Diese Szenen mit der Puppe, der
Automatenfrau, sind wohl die faszinierendsten Sequenzen in diesem prall
gefüllten Bilderbogen, den Fellini dem Zuschauer präsentiert.
Dabei unterstreicht der Meisterregisseur einmal mehr die
Künstlichkeit seines Protagonisten. Als dramturgisches Mittel diese
Künstlichkeit zu verstärken werden auch die Szenen im Meer im Studio
gedreht - mit hilfe von schwarzen Plastikfolien. Stilmittel, die nur
Fellini so genial beherrscht, dass sie nicht kitschig wirken. Für
Kameramann Rotunno ist "Casanova" stets der Lieblingsfilm geblieben.
Beide Künstler ergänzten sich immer optimal und interessanterweise kann
man "Casanova" auch als einen Film über das Altern bzw. über des
Menschen Zeit sehen. Der Mensch lebt, der Mensch stirbt und in der
Verzweiflung durch den Verlust der Jugend, versucht man noch einmal
etwas an Schönheit zu gewinnen.
Danilo Donati bekam für sein Kostümdesign den wohlverdienten Oscar
und in der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch" wurde Federico
Fellini und Mitschreiber Bernardino Zapponi im Jahr 1977 ebenfalls
nominiert.
Sutherlands Darstellung ist ebenfalls erstklassig - kühl bis
eiskalt wandert er mit seinem leeren und dennoch vielsagenden Gesicht
durch die Mumien, Halbtoten oder Gespenster seiner Zeit.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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