Freitag, 15. Juni 2018

Fellinis Casanova







































Regie: Federico Fellini

Der große Liebhaber von Venedig....

"Fellinis Casanova" entstand im Jahr 1976 und wird nicht zu den stärksten Filmen des Regisseurs gezählt, obwohl beim näheren Hinsehen doch ein weiteres opulentes Meisterwerk erkennbar wird. "Casanova" gliedert sich in eine Reihe von Episoden, die auf einer freien Gestaltung von Begegnungen und Ereignissen aus der Autobiographie von Casanova basieren.
Dabei hat seine Odyssee durch Europa auch gewisse Ähnlichkeiten mit Stanley Kubricks Historienfilm "Barry Lyndon", der einige Monate vorher in die Kinos kam. Auch dort werden die Abenteuer, Aufstieg und Fall eines Mannes beschrieben, der quer durch Europa reist und versucht seinen Platz in adligen Kreisen zu sichern. Kubricks Film spielt ebenfalls Mitte des 18. Jahrhundert, zur Zeit des Spätbarock - Fellinis Casanova ist so etwas wie sein grotesker Verwandter. Interessanterweise hat sich Fellini entschieden die Titelrolle an Donald Sutherland zu vergeben, weil dieser sehr wenig dem Bild von Casanova entsprach. Das Wagnis ist aber total geglückt, auch weil Kameramann Giuseppe Rotunna es so vorzüglich verstand dessen Profil so effektiv abzulichten. Diese Bilder bleiben hängen und lassen auch gleich den Gedanken vergessen wie wohl Marcello Mastroianni diese Rolle gestaltet hätte. Der wäre als Fellinis Lieblingsdarsteller naheliegend gewesen und der bekam aber tatsächlich 1982 in Ettore Scolas "Flucht nach Varennes" die Möglichkeit seinen Casanova zu präsentieren. Als Chevalier de Seingald reist er in einer Kutsche zur Zeit der französischen Revolution und setzt auch auf eine groteske Komponente in der Darstellung. So setzte er dort fort, was auch Fellini in seinem Biopic hervorstreichen wollte: Ein würdevoller Mann, dem man die Last seines Rufes anmerkt und der dadurch auch etwas lächerlich wirkt, aber dennoch Tiefe erblicken lässt.
Der Film beginnt mit dem Karneval in Venedig und in einer prunkvollen Zeremonie in Anwesenheit des Dogen soll der riesige Kopf der Göttin Luna aus der Tiefe des Canal Grande auftauchen. Da dies nicht gelingt, weil eines der Seile reßt, versinkt die gigantische Büste wieder ind der Tiefe. Die Menschen denken sofort an ein böses Omen. Unter den Zuschauern ist auch Casanova (Donald Sutherland), der bereits seinen Ruf als bester und ausdauerndster Liebhaber gefestigt hat. Er bekommt die Einladung zu einem erotischen Abenteuer mit einer Nonne (Margareth Clementi), das von einem unbekannten Voyeur beobachtet wird. Danach wird er aber in Venedig festgenommen und wegen "Schmähungen gegen die heilige Religion" und in den Bleikammern inhaftiert. Dort gelingt ihm nach 15 Monaten die Flucht und es beginnt seine Reise aus Zwang quer durch Europa, denn er liebte seine Heimatstadt Venedig.
Er wird Gast am Pariser Hof der bereits betagten Madame D´Urfe (Cicely Browne), sie interessiert sich nicht nur für Casanovas großes Wissen über Alchemie. Am Hof des buckligen Adligen Du Bois (Daniel Emifork) lernt er die große Liebe seines Lebens kennen. Doch Henriette (Tina Aumont) verschwindet und lässt ihn alleine zurück, weil wohl ein hoher europäischer Adliger Besitzansprüche erhebt.
In London wird Casanova von Mutter und Tochter ausgeraubt, will sich in der Themse ertränken - doch beim Anblick  einer Riesin (Sandra Elaine Allen) und zwei Zwergen am Ufer sieht er ein Zeichen am Leben zu bleiben. Doch diese drei Personen sind real und nach einem kurzen Intermezzo ist er Gast bei einer ausschweifenden, wüsten Party von Lord Talou in Rom, dort misst er sich in der sexuellen Ausdauer mit einem einfachen Postkutschenfahrer. Er reist nach Bern - verliebt sich dort Isabelle (Olimpia Carlisi) , Tochter des Alchimisten Dr. Möbius (Mario Cencelli). Die will er in Dresden wiedersehen, doch stattdessen gehts weiter mit Orgien und im Alter findet der Frauenliebhaber eine Anstellung als Bibliothekar von Graf Waldstein auf dessen Schluß in Dux. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Adelskreise ihn wohlwollend bei seich aufnahm. Nun ist er dazu gezwungen mit anderen Bediensteten zu essen und wird von einem Diener und dessen Liebhaber gemobbt...






Die letzte Szene zeigt einen erschöpften alten Mann mit blutunterlaufenen Augen, der in einem Sessel sitzt und sich langsam mit dem Tod auseinandersetzt. Er träumt von seiner Heimat Venedig und im Traum sieht er die riesige Büste, die zu Beginn des Films zu sehen war und unter dicken Eisschichten in der Lagune vergraben ist. Er sieht seine vergangenen Liebhaberinnen, eine reich verzierte Postkutsche winkt ihm zu, er solle sich seinen Passagieren anschließen. Dann trifft er zum zweiten Mal die mechanische Puppe Rosalba, die von Leda Lojodice, und sie tanzen leise miteinander. Diese Szenen mit der Puppe, der Automatenfrau, sind wohl die faszinierendsten Sequenzen in diesem prall gefüllten Bilderbogen, den Fellini dem Zuschauer präsentiert.
Dabei unterstreicht der Meisterregisseur einmal mehr die Künstlichkeit seines Protagonisten. Als dramturgisches Mittel diese Künstlichkeit zu verstärken werden auch die Szenen im Meer im Studio gedreht - mit hilfe von schwarzen Plastikfolien. Stilmittel, die nur Fellini so genial beherrscht, dass sie nicht kitschig wirken. Für Kameramann Rotunno ist "Casanova" stets der Lieblingsfilm geblieben. Beide Künstler ergänzten sich immer optimal und interessanterweise kann man "Casanova" auch als einen Film über das Altern bzw. über des Menschen Zeit sehen. Der Mensch lebt, der Mensch stirbt und in der Verzweiflung durch den Verlust der Jugend, versucht man noch einmal etwas an Schönheit zu gewinnen.
Danilo Donati bekam für sein Kostümdesign den wohlverdienten Oscar und in der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch" wurde Federico Fellini und Mitschreiber Bernardino Zapponi im Jahr 1977 ebenfalls nominiert.
Sutherlands Darstellung ist ebenfalls erstklassig - kühl bis eiskalt wandert er mit seinem leeren und dennoch vielsagenden Gesicht durch die Mumien, Halbtoten oder Gespenster seiner Zeit.






Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

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