Schicksalshafte Begegnung
David Lean drehte
nach "Die Brücke am Kwai", "Lawrence von Arabien" und "Doktor Schiwago"
im Jahr 1970 seinen vierten Monumentalfilm. Doch diesmal wurde seine
Arbeit von sehr vielen Kritikern eher schlecht bewertet. Man warf dem
bildgewaltigem Epos vor zu selbstgefällig und auch langweilig zu sein.
Immerhin sah es das Publikum anders. Der Film konnte an der Kinokasse
über 30 Millionen Dollar weltweit einspielen und lag am Ende nach "Love
Story", "Airport", "Mash", "Patton", "Woodstock" und "Little Big Man"
auf Platz 7 der Kinojahrescharts. Bei den Oscars gewann der Film zwei
seiner vier Nominierungen: John Mills gewann als bester Nebendarsteller
für seine Rolle des behinderten Michael und Freddie Young für seine
überwältigende Kameraarbeit. Sarah Miles, die als beste
Hauptdarstellerin vorgeschlagen wurden und auch die Tontechniker John
Bramall und Gordon K. McCallum gingen leer aus.
Der angesehene
Kritiker Roger Ebert hat bemerkt, dass Leans Charaktere durch die
übermäßige Skalierung endgültig in den Schatten der Umgebung gestellt
werden. Das stimmt natürlich - aber genau dies macht den Reiz der
Lean-Epen auch aus. Das war in "Lawrence von Arabien" nicht anders. Dort
war die Wüste der eigentliche Hauptdarsteller. In "Die Brücke am Kwai"
waren es Dschungel und Eisenbahnbrücke. Bei "Doktor Schiwago" war der
russische Winter überlebensgroß und auch in seinem Spätwerk "Reise nach
Indien" ist es das Land selbst, das riesigen Einfluss auf die
Protagonisten nimmt. In "Ryans Tochter" ist es diese imposante
Felsenlandschaft und die Küste des fiktiven Dorfs Kirrary im Südwesten
Irlands. Die Zeit, in der die Geschichte spielt gibt zusätzlich einiges
an Dramatik her. Es ist die Jahre 1916 und 1917, zur Zeit des
Osteraufstandes. In dieser Zeit versuchten militante irische
Republikaner gewaltsam die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien zu
erzwingen. Dieser Versuch schlug zwar fehl, aber er gilt geschichtlich
als Wendepunkt in der Geschichte Irlands, denn er führte letztendlich
zur Abspaltung vom Empire und zur Unabhängigkeit als eigenständiger
Staat.
"Ryans Tochter"
ist durch und durch ein Bilderfilm. Bereits die ersten Szenen beweisen
dies eindrücklich. Dort auf den steilen Felsen sieht man hinab ans
Meerufer und der Sonnenschirm der jungen Rosy Ryan (Sarah Miles),
Tochter des örtlichen Kneipenwirts (Leo McKern) fällt die Klippen
hinunter. Er landet im Wasser, aber zum Glück ganz nahe am Fischerboot
des Pfarrers Collins (Trevor Howard), der sich in Begleitung des
schwachsinnigen Michael (John Mills) befindet. Rosy ist eine junge Frau
und ist verliebt in Charles Shaugnessy (Robert Mitchum), den örtlichen
Lehrer, der aus Dublin zurückkehrte.
Das Dorf muss wohl
oder übel die britischen Soldaten dulden, doch alle sind auf der Seite
des Tim O´Leary (Barry Foster) und seinen Männern, die zur irischen
Untergrundsbewegung gehören. Der wird gesucht und ihn und seine Männer
erwartet dann der Galgen. Neu im Dorf ist der junge Randolph Doryan
(Christopher Jones), der britische Befehlshaber der Garnison vor Ort.
Bald findet im Dorf die Hochzeit von Rosy und ihrem Lehrer statt. Der
hatte seine Frau noch zuvor gewarnt, ihn zu heiraten. Er könne ihr ja
vielleicht nicht unbedingt das bieten, nach was sie sich so sehr sehnt.
Tatsächlich wirkt die Ehe leidenschaftslos und obwohl Rosy ihren Mann
liebt und auch seine Zuneigung und große Verlässlichkeit schätzt,
gesteht sie dem Pfarrer nur wenige Wochen nach der Hochzeit, dass sie
unglücklich ist. Doch als sie Doryan kennenlernt, kommt mit ihm die von
ihr so erwartete Leidenschaft ins Spiel. Sie beginnt mit dem Mann eine
heftige Affäre und ihr Mann hat auch sofort einen Verdacht, doch er
unternimmt nichts gegen ihre Untreue. Auch im Dorf munkelt man bald über
Rosy und man begegnet ihr bald mehr als feindselig...
Diese bittere
Liebesgeschichte vor dieser bombastisch schönen Kulisse wird
dramaturgisch von der Filmmusik von Maurice Jarre unterstützt. Der Vater
von Jean Michel Jarre wurde bereits vor "Ryans Tochter" bereits zweimal
für die beiden Lean Filme "Lawrence von Arabien" und "Doktor Schiwago"
mit dem Oscar ausgezeichnet. Natürlich klingt der Soundtrack ähnlich.
Für "Ryans Tochter" blieb er im Oscarrennen unberücksichtigt. Aber
seinen dritten Oscar holte sich der französische Komponist wieder mit
der Untermalung für ein Lean Epos: "Reise nach Indien" aus dem Jahr
1984. Es dauerte auch tatsächlich 14 Jahre bis Lean nach "Ryans Tochter"
wieder einen Film realisierte. Man munkelte, dass Lean aufgrund der
schlechten Kritikerbewertung all die Jahre keinen Film mehr realisieren
wollte. Aus heutiger Sicht sind die damaligen Verrisse für diesen
meditativen Ausflug ins Jahr 1917 überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen.
Lean hat es auch hier einmal mehr glänzend verstanden einen
überlebensgroßen Film mit exzellenten Bilder zu machen. Eine Kunst, die
er wie kein zweiter beherrschte. Aus damaliger Zeit mag der Film
vielleicht zu altmodisch und zu wenig progessiv gewesen sein, aus
heutiger Sicht sind diese 189 Minuten, die der britische
Meisterregisseur hier präsentiert, ganz großes Kino.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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