Regie: Richard Linklater
Ein Junge wächst auf...
Als Chronist erscheint der Regisseur Richard Linklater im Vergleich
zu seinen anderen amerikanischen Kollegen wie eine Ausnaheerscheinung.
Schon die Fortsetzungsfilme "Before Sunrise", "Before Sunset" und
"Before Midnight" (1995,2004 und 2013) zeigt im neunjährigen Rhythmus
das Paar Jesse und Celine (gespielt von Ethan Hawke und Julie Delpy),
das sich in Wien kennenlernt, nach mehreren Jahren in Paris wiedersieht
und dann zusammenkommt, sich aber in den nächsten Jahren als Ehepaar
wieder auseinanderleben. Damit zogen viele Filmkritiker schon Vergleiche
mit Francois Truffauts "Antoine Doinel" Filmreihe und der von 2002 bis
2013 realisierte Langzeit Coming of Age Film "Boyhood", der das
Aufwachsen eines Jungen über den Zeitraum von 12 Jahren zeigt, gibt
dieser Einschätzung zusätzlich Nahrung. Die große Besonderheit des Films
und damit auch die Nähe zu Truffaut ist, dass die Schauspieler im
Verlauf dieser langen Zeitspanne, in der immer wieder gedreht wurde,
reel wachsen und altern. Dieser Realismus kommt dem 163 Minuten langen,
aber nie langweiligen Filmwerk sehr zugute.
Es geht um das
Leben des anfangs noch kleinen Mason (Ellar Coltrane), der mit seiner
Schwester Samantha (Lorelei Linklater) bei der alleinerziehenden Mom
(Patricia Arquette) aufwächst. Die Ehe mit ihrem Mann Mason (Ethan
Hawke) ist gescheiert und die Kids haben den Vater, der in Alaska lebt,
seit 1 1/2 Jahren nicht mehr gesehen. Umso größer ist die
Wiedersehensfreude. Ab diesem Zeitpunkt investiert der Mann als
Wochenendvater für die Kinder und sorgt für coole Wochenenden. Den
Alltag durchleben die Kids mit der Mutter, die sehr oft an die falschen
Männer gerät - vorzugsweise mit Alkohol-Problem. Daher bekommen die
Kinder auch drei verschiedene Männer vorgesetzt, einer davon ist der
Professor Bill Welbrock (Marco Perella), der seine eigenen beiden Kinder
aus vorheriger Beziehung - Mindy (Jamie Howard) und Randy (Andrew
Villarreal) mitbringt, die etwa im gleichen Alter wie Mason und Samantha
sind. Der leibliche Vater heiratet im Laufe dieser zwölf Jahre auch
wieder - seine Ehe mit Annie (Jenni Toley) bleibt nicht kinderlos, so
dass Mason ein Brüderchen bekommt. In sehr ruhigen Bildern skizziert
Linklater den Weg des Jungen zum Teenager, der sich natürlich auch noch
unglücklich verliebt (als Freundin Sheena: Zoe Graham) und in der
letzten Sequenz mit der neuen College-Bekanntschaft Nicole (Jessi
Mechler) bei einer Wanderung in den Big Bend National Park sich bereits
ein neues Glück andeutet, allerdings inszeniert als sehr schöne
Momentaufnahme, in dem uns der Filmemacher eindrucksvoll zeigt, dass
alles irgendwie vergänglich ist und wir den Augenblick ausnützen müssen
und ihn genießen sollen...
Immer wieder hat Linklater auch viel
Zeitgeist in die Geschichte verwoben, in den Gesprächen gehts um die
Terrorgefahr, um die hoffentlich siegreiche Wahl von Barack Obama, aber
auch um die Star Wars Filme. Im Laufe des Films wechselt Mason dreimal
den Haarschnitt und zieht zweimal um - von einer kleinen texanischen
Kleinstadt nach Houston, dann wieder nach San Marcos mit seinen 44. 000
Einwohnern wieder recht beschaulich. Der Film über einen Jungen, der zum
Mann heranwächst, fängt das Leben so einfühlsam und wahrhaftig ein, wie
es nur sehr selten im Kino zu sehen ist - so die Kritik im Spiegel, in
der tatsächlch viel Wahrheit steckt. Denn Linklater verweigert sich
allen gängigen und populären dramaturgischen Kniffen und zeigt
stattdessen mit einem großen Hauch von Leichtigkeit einen Lebenslauf.
Ein US-Film, der stark durch das europäische Kino geprägt ist und
angenehm unspektakulär auffällt. Neben dem leider in Deutschland viel zu
unterbewerteten "Dazed and Confused" ist dies vielleicht Linklaters
bester Film und möglicherweise sogar ein aussichtsreicher Kandidat für
die kommende Oscarwahl.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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