Regie: Kenneth Lonergan
Ewiges Schuldgefühl...
"Manchester by the sea" ist ein sehr trauriger Film des amerikanischen
Regisseurs und Drehbuchautor Kenneth Lonergan (You can count on me,
Margaret). Bei der Oscarverleihung 2017 wurde er mit 6 Nominierungen
bedacht: Bester Film, beste Regie, bester Darsteller Casey Affleck,
beste Nebendarstellerin Michelle Willams, bester Nebendarsteller Lucas
Hedges und für das beste Drehbuch, das der Regisseur natürlich selbst
verfasste.
Am Ende ging Casey Affleck als Sieger hervor und auch Kenneth Lonergan
wurde für das beste Drehbuch mit einem Oscar ausgezeichnet. Überhaupt
wurde das Drama, das gelegentlich mit lakonischem Humor aufgelockert
wird, mit Preisen überhäuft.
Schon die ersten Bilder der Geschichte zeigen eine ausgesprochen triste
Umgebung - Kameramann Jody Lee Lipes zeigt Boston im Winter und dort
wohnt und arbeitet der schweigsame Lee Chandler (Casey Affleck) als
Hausmeister in einem kleinen Wohnblock in einer eher ärmlichen Gegend.
Er erledigt seinen Job, seine direkte und nicht gerade empathische Art
ist nicht immer im Umgang mit den Mitmenschen hilfreich - die Mieter
beschweren sich des öfteren und im Lokal fängt er grundlos mit einer
Schlägerei an, wenn er zuviel Bier intus hat. Ein Einzelgänger, der
nicht viel Kontakt mit seinen Mitmenschen haben will, auch die Avancen
einiger Frauen interessieren den Mann nicht sonderlich.
An einem dieser Wintertage erhält Lee einen Anruf aus seiner Heimatstadt
Manchester-by-the-Sea. Sein herzkranker Bruder ist einfach umgefallen
und liegt im Krankehaus. Als Lee dort eintrifft ist der ältere Joe (Kyle
Chandler) aber schon tot. Der geschiedene Bruder hinterlässt den
16jährigen Sohn Patrick (Lucas Hedges). Elise (Gretchen Mol), die
alkoholkranke Mutter des Jungen hat die Familie schon seit längerem
verlassen. Interessanterweise hat Joe in seinem Testament seinen
jüngeren Bruder als Vormund für Patrick bestimmt - davon wusste Lee aber
nichts und wird nun damit konfrontiert eine große Verantwortung zu
übernehmen. Lee sträubt sich, denn da der Teenager sich weigert mit ihm
nach Boston zu ziehen, müsste Lee wieder in Manchester-by-the-sea leben.
Doch an dem Küstenort lauern an jeder Ecke schmerzhafte Erinnerungen an
seine Vergangenheit.
Mit der Begegnung seiner erneut verheirateten und zudem schwangeren
Ex-Frau Randi (Michelle Williams) steuert die Geschichte unweigerlich
auf einen grausamen Schicksalsschlag aus der Vergangenheit zu...
Die tragische Vergangenheit von Lee und Randi wird in Rückblenden immer
mehr sichtbar, eine Nacht wird das Leben dieser Menschen für immer
tragisch verändern. Für den Zuschauer ein Schlag in die Magengrube. Erst
jetzt versteht der Zuschauer warum Lee so reagiert - emotionslos,
abwesend und wenn er was getrunken hat mit einem aggressiven Ausbruch.
Seine Frau Randi versucht ein klärendes Gespräch, doch selbst das ist
unmöglich. Zu groß ist das Schutzschild, das sich Lee in all den Jahren
aufgebaut hat.
Dennoch hat Lee ein sehr schönes Verhältnis zu seinem Neffen, der nun so
ne Art Ziehsohn ist. Rückblenden zeigen, dass der Junge schon als Kind
ein inniges Verhältnis zu seinem Onkel Lee hatte.
Diese Szenen mit dem Youngster Lucas Hedges sind von lakonischem Humor
geprägt - der Junge spielt Hockey, hat zwei Freundinnen (Kara
Hayward/Anna Baryshnikow), die natürlich nichts voneinander wissen. Wie
Lee bleibt er ruhig, bis auch er eine Panikattacke in der Küche
bekommt. Diese zweite Thematik macht das Drama vielschichtiger und man
sieht den beiden Trauerernden manchmal gar nicht die Trauer an, die sie
verspüren. So sehr sind sie damit beschäftigt einen normalen Alltag
aufrechtzuerhalten...
Diesen Verdrängungsprozess hat Lonergan meisterhaft verfilmt. Casey
Affleck hat natürlich noch einen zweiten, viel dramatischeren
Verdrängungsprozess laufen - ein Neuanfang wäre aber möglich. Doch am
Ende kann er die Vergangenheit immer noch nicht begraben. So gesehen ein
sehr trauriges Ende mit einer kleinen Portion Hoffnung, dass diese
Schicksalsschläge - verbunden mit einem ganz hohen Schuldgefühl - Zeit
brauchen, manchmal mehr Zeit als man denkt. Atmosphärisch bleibt der
Film immer etwas kalt und dunkel, beinahe unnahbar wie die verletzlichen
Akteure. Der Film spielt im Winter, anfangs in einer Betonsiedlung,
dann an einem Küstenort. Aber beide Locations sorgen für eine gewisse
Lethargie und auch für eine besondere Stimmung. Der klyrische
Violinen-Score passt perfekt dazu. Der Regisseur bevorzugte die leisen
Töne. Es sind auch immer wieder kleine Szenen, die fast bedeutungslos
wirken - aber unvergessen bleiben. Etwa dann als Lee seine triste
Wohnung in Boston räumt und drei Bilder, die er auf einem Kästchen
stehen hat, sehr sorgfältig in eine größeres Tuch einpackt. Der
Regisseur zeigt uns nicht wer darauf abgebildet ist - muss er auch
nicht, denn jeder weiß es auch so. Eine Szene, die eine große Wirkung
erzielt und von solchen Szenen gibt es sehr viele.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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