Dienstag, 25. Juni 2024

Jeanne Dielman


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Chantal Akerman

Brüchige Routine...

Bei der jüngster "Sight and Sound" Umfrage über die besten Filme aller Zeiten kam es zu einer echten Überraschung, denn der 1975 von Chantal Akerman wurde auf Platz 1 gewählt und verwies die ultmativen Klassiker wie "Vertigo", "Citizen Kane", "2001" oder "Die Reise nach Toyko" auf die Plätze. Sicherlich wurde bei dieser aktuellen Umfrage sehr stark Wert darauf gelegt, dass auch weibliche Regisseure besonders beachtet werden sollen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den Top 100 auch Filme wie "Beau Travail" von Claire Denis, "Das Piano" von Jane Campion, "Cleo" von Agnes Varda, "Portrait of a Lady in Fire" von Celine Sciamma sehr gut abschnitten.
Die belgische Filmemacherin Chantal Akerman drehte ihr Meisterwerk "Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles" im Jahr 1975, das auf dem Filmfestival in Faro einen Preis als bester Film gewann und auch die Hauptdarstellerin Delphine Seyrig (Der diskrete Charme der Bourgeousie, Blut an den Lippen) durfte damals den Publikumspreis entgeben nehmen.
Der Film dauert 201 Minuten und in dieser Zeit wird der triste und eintönige Tagesablauf einer Frau aus Brüssel gezeigt. Jeanne Dielman (Delphine Seyrig) ist noch jung, aber bereits Witwe und hat einen 16jährigen Sohn namens Sylvain (Jean Decorte). Ihr Tagesablauf ist eine gleichbleibende Routine aus wiederholenden Aufgaben. Sie bereitet am Morgen das Frühstück für ihren Sohn zu. Er isst, sie trinkt Kaffee mit ihm. Viel Kommunikation gibt es nicht. Er geht aus dem Haus, sie macht sein Bett, dass dann wieder als Couch fungiert. Dann geht sie einkaufen, macht diverse Erledigungen und bereitet das Abendessen vor: Gemüse schälen, Fleisch zubereiten, Geschirr spülen. Einmal am Tag kommt eine Nachbarin vorbei und gibt ihr Baby bei Jeanne ab, die dann für kurze Zeit auf das Kind aufpasst. Am Nachmittag klingelt es auch öfters an der Haustür, denn die Hausfrau empfängt regelmässig großzügige Herren und bessert durch die Prostitution ihre Haushaltskasse auf.
Dieser strenge Ablauf wird beinahe schon in Echtzeit gezeigt -  drei Tage lang kocht und putzt und sie zeigt selten eine Gefühlsregung. Doch durch diese präzise Sicht entdeckt der Zuschauer Risse in der Routine, denn die perfekt kontrollierte Frau, die völlig fremdbestimmt und isoliert lebt, wirkt zunehmend angespannter. Winzige Zuckungen der Gesichtsmuskel weisen darauf hin, auch das Misslingen des Essens am Beispiel von verkochten Kartoffeln gewinnen Bedeutung. Man gewinnt zunehmend das Gefühl, dass diese Alltagsgeschichte in einer echten Katastrophe enden wird. Und so ist es auch. Am Ende des dritten Tages, nachdem sie erneut einen iihrer Stammkunden bedient hat, ersticht sie diesen ungerührt mit einer Schere. Dann sitzt sie ruhig in ihrem verdunkelten Esszimmer und wartet vermutlich auf die Heimkehr ihres Sohnes...









Bei der enorm langen Laufzeit fragt man sich vielleicht, ob tatsächlich soviel Laufzeit erforderlich war, um das ganze Ausmaß dieses menschlichen Schicksals aufzuzeigen. Denn dies macht den Film natürlich anstrengend, für eine kommerzielle Auswertung kommt er auch heute nicht in Frage. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bis heute keine deutschsprachige DVD Ausgabe gibt. Langweilig ist der Film nicht, wenn man sich auf die Thematik einlässt und die ästhetische Strenge als interessantes Stilmittel ansieht. Eine konventionelle Dramaturgie hätte dem Film vermutlich die Originalität und Einzigartigkeit genommen. Sicherlich ist der Spitzenplatz in der Liste der besten Filme etwas hochgegriffen, aber sehenswert ist "Jeanne Dielman" jede Minute. Das minimalistische Meisterwerk gilt als das Schlüsselwerk des feministischen Filmschaffens.





Bewertung: 8,5 von 10 Punkten

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