Regie: Tran Anh Hung
Aus dem Leben eines Rikschafahrers...
"Cyclo" heißt der zweite Film des in Frankreich lebenden
Exil-Vietnamesen Tran Anh Hung. Sein Filmdebüt "Der Duft der grünen
Papaya" war ein großer internationaler Erfolg für den Regisseur, er
wurde dafür bei den Filmfestspielen in Cannes mit einem Preis bedacht,
erhielt den Cesar für den besten ausländischen Film und bekam auch eine
Oscarnominierung in der Auslandsfilm-Kategorie.
"Der Duft der grünen Papaya" war ein idyllischen Saigon Portrait,
obwohl der Film kunstvoll in einem französischen Studio gedreht wurde.
Der Nachfolgefilm "Cyclo" allerdings wurde ausschließlich an
Originalschauplätzen in Saigon (heute. Ho-Chi-Minh Stadt) gedreht.
Mit diesem sehr eigenwilligen Großstadtportrait ist ihm nach meiner
Einschätzung einer der besten Filme der 90er Jahre gelungen. Wobei
"Cyclo" in seiner Heimat wegen seiner schonungslosen Darstellung
verboten wurde. Es gibt in der Geschichte zwei äusserst brutale und
blutige Sequenzen. Aber genauso aggressiv sieht das Verkehrsgewühl
dieser chaotischen Metropole aus, die die Kameracrew unter der Leitung
von Benoit Delhomme, teilweise hinter Kartons oder Zeltplanen versteckt,
eingefangen haben.
Mehr als 8 Millionen Menschen leben in dieser Stadt und als
Rikschafahrer lebt man auf diesen übervollen und hektischen Straßen
besonders gefährlich.
Einer davon ist die Hauptfigur der Geschichte - der 18jährige Junge
(Le Van Loc) ist auf sein Fahrrad angewiesen, denn mit dem Job
finanziert er das Überleben seiner armen Familie. Der Junge denkt sehr
oft an seinen vor einem Jahr verstorbenen Vater, der die gleiche Arbeit
ausführte und bei einem schweren Verkehrsunfall starb.
Zur Familie gehört der alte Großvater (Ke Kinh Huy), der trotz
körperlicher Einschränkung noch Fahrräder repariert und seine beiden
Schwestern (Tran Nu Yen Khe spielt die ältere Schwester, die kleine
Schwester wird von Pham Ngoc Lieu verkörpert) - das kleine Mädchen
stellt Schuhe her und die größere Schwester trägt auf einem der vielen
Märkte der Stadt Wasser.
Eines Tages wird dem Jungen das Fahrrad gestohlen, das er von
seiner Arbeitgeberin (Nguyen Nhu Quynh) geliehen und noch nicht mal ganz
bei ihr abgezahlt hat. Die Chefin verfügt, dass er Dienste für ihre
kriminelle Vereinigung ableisten muss, das Sagen in dieser Gang hat der
melancholische "Poet" (Tony Leung). Es bleibt dem Jungen verborgen, dass
auch seine größere Schwester nun in der Schuld steht und für den Poeten
anschaffen soll. Doch der Poet verliebt sich in seine Prostituierte,
auch das Mädchen hat Gefühle für ihren jungen Zuhälter. Währenddessen
soll der Junge als Killer arbeiten und die Gangmitglieder zeigen ihm
ihre brutalen Praktiken. Ein bisschen freundet sich der Junge mit dem
schwachsinnigen Sohn (Bjuhoang Huy) seiner Chefin an, der in etwas
gleichaltrig ist und ein Faible für Farben hat. Als ein Freier das
Mädchen entjungfert, ist er Poet rasend vor Wut, denn diese Spielart war
nicht vereinbart und er entscheidet sich den Mann zu töten...
Die Handlung ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln, denn einige
Szenen des Films wirken irgendwie kryptisch. Erst nach und nach wird das
Bild klarer von der Geschichte des jungen Rikschafahrer, die ein
bisschen an Vittorio de Sicas Klassiker "Fahrraddiebe" angelehnt ist und
der Liebesgeschichte zwischen einem jungen Gangster und einem armen
Mädchen, die kein gutes Ende nimmt - in einer Stadt, die wirkt als würde
sie ihre Menschen auffressen wollen. Tran Anh Hung zeigt dem Zuschauer
eine turbulente und total hektische Stadt, was auch an der ganzen
Atmosphäre zu spüren ist. Aber er schafft es gekonnt auch leise
Zwischentöne zu setzen, um den Charakter der Hauptpersonen besser
begreifbar zu machen. So ist der Poet kompliziert, traumatisiert und
depressiv. Der Cyclo eher einfach und unschuldig und die Schwester etwas
traurig und melancholisch. Die naturalistische Beschreibung vom Leben
des Alltags in einem fremden land wird zunehmend ein komplexes,
surreales Gemälde, in dem die Außenwelt mit dem Innern der Protagonisten
eine gewisse Verschmelzung eingeht. So schwebt über allem eine gewisse
Balance zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen Vorstellung und
Beobachtung. "Cyclo" hat mir auf eine ruhige, magische Weise einen
fremden Ort auf dieser Erde und seine Menschen, die dort leben, nahe
gebracht.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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