Regie: Andrej Swjaginzew
Ein Junge verschwindet...
Der russische Filmregisseur Andrey Petrovich Swjaginzew in
Nowosibirsk wurde am 6. Februar 1964 geboren und seine Kinofilme
entfalten immer eine elementare Wucht. Sein Film "Die Rückkehr" brachte
ihm 2004 bei den Filmfestspielen in Venedig einen Goldenen Löwen ein,
ausserdem gab es eine Auszeichnung bei dem Europäischen Filmpreis.
"Leviathan" aus dem Jahr 2014 wurde für den Oscar als bester
ausländischer Film nominiert, unterlag jedoch dem polnischen Film "Ida"
von Pawel Pawlikowski, erhielt aber den Golden Globe in der gleichen
Kategorie. Bei den europäischen Filmpreisen bekam "Leviathan" vier
Nominierungen. Auch "Loveless" - sein Film aus dem Jahr 2017 - setzte
diese Erfolgsserie fort und erhielt erneut eine Oscarnominierung als
bester ausländischer Film und wurde in drei Kategorien für den
europäischen Filmpreis vorgeschlagen. Bei den internationalen
Filmfestspielen in Cannes erhielt "Loveless" den Preis der Jury.
In "Loveless" geht es wie der Name des Films schon verrät um die
Lieblosigkeit in unserer Zeit. Kritiker sehen bei den Filmen von
Swjaginzev zwar immer einen sehr kritischen Bezug zur russischen
Gesellschaft, dennoch kann man seine Werke als allgemeine
Bestandsaufnahme unserer Zeit deuten.
Wie immer braucht es nicht sehr viele Figuren, dass sein Film voll
zur Wirkung kommt und wie so oft spielt die Geschichte in einer
Umgebung, die von Tristesse geprägt ist. Irgendwo in den Vorstädten von
Leningrad spielt sich das menschliche Drama ab.
Die erste Szene zeigt einen Jungen (Matvei Novikov), der die Schule
verlässt, um nach Hause zu kommen. Seine Eltern Zhenya (Maryana Spivak)
und Boris (Alexej Rozin) lassen sich scheiden. Die beiden haben sich
auseinandergelebt und begegnen sich sogar in Anwesenheit ihres Jungen
Alyosha mit Hass und Feindseligkeit. Der Junge hört mit, wenn die beiden
am Abend streiten und wenn so böse Sätze fallen "ich hätte damals das
Kind abtreiben sollen" oder "nimm du ihn doch mit Dir". Der Junge ist
traurig, aber seine Gefühlsregungen werden von beiden als Schwäche
abgetan "ein Junge weint doch nicht" und die Mutter behandelt ihren
Jungen als neue Mieter das Haus besichtigen wollen fast wie Luft. Zhenya
hat längst eine neue Beziehung zu ihrem neuen Freund Anton (Andriss
Keiss) und fühlt sich endlich glücklich, was sie in ihrer Ehe nie war.
Auch Boris ist liiert und seine Freundin Masha (Marina Vasilyeva) ist
schon schwanger. Die junge Frau hat aber auch heimliche Ängste, dass sie
von Boris irgendwann mal verlassen werden könnte - trotz Kind.
Schließlich bekommt sie ja das ganze Hickhack des Rosenkriegs auch mit.
Eines Tages verschwindet der Junge, was aber erst am anderen Tag bemerkt
wird. Die Polizei schaltet sich ein, doch der Beamte (Sergej Borsiow)
behandelt den Fall eher halbherzig. Immerhin gibts eine Einheit, die bei
Vermisstenfällen hilft und der dortige Koordinator Ivan (Alexej Fateev)
legt sich engagiert ins Zeug. Doch die Suche bleibt erfolglos...
Am Ende zeigt uns Swjaginzev die Straße mit dem Baum, an dem immer
noch das Vermisstenbild von Alyosha hängt. Sozusagen der letzte
überlebende Überrest seiner Existenz. Spurlos verschwunden - die Eltern
müssen mit der Schuld leben, dass ihr eigenes Kind immer nur unerwünscht
war und sie ihn stets vernachlässigt haben. Die eigenen Bedürfnisse
haben sich letztendlich durchgesetzt und keiner der beiden Elternteile
wollte für das Kind irgendeine Verantwortung übernehmen...geschweige
denn so etwas wie Liebe. Ein sehr trauriger Film, der erneut das große
Können dieses russischen Ausnahmeregisseurs beweist. Der Film hält jedem
Zuschauer einen Spiegel vor und zeigt eindrücklich eine tief
verwurzelte Pathologie unserer Gesellschaft und unserer Zeit. Nicht nur
die Familie ist zerfallen, auch der Einzelne lebt das Prinzip vom großen
Egoismus.
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen