Regie: Park Chan Wook
Der Roboter, der Dieb und Omas Gebiss...
Die junge introvertierte Young-gun (Lim Soo-jung) arbeitet in der
Fließbandproduktion eines Elektronikunternehmens, dort baut sie
Radiogeräte zusammen. Das junge Mädchen ist felsenfest davon überzeugt,
ein menschlicher Roboter - ein Cyborg - zu sein.
Dort schneidet sie sich die Pulsadern auf, setzt sich unter Strom, weil
sie sich direkt an eine Streckdose anschliesst. Sie wird gerettet, kommt
aber in die Klapse, wo sie die Aufnahme von Nahrung verweigert. Ihre
Mutter (Yong-nyeo Lee), eine Restaurantbesitzerin, gibt der Psychiaterin
verzweifelt Auskunft und macht dabei selbst einen etwas sonderbaren
Eindruck. Noch absurder klingt die Familiengeschichte, denn Young-guns
Großmutter stellte ihrer Tochter irgendwann mal die neuen
Geschwisterchen vor...es waren kleine Ratten, die die sonderbare Frau
dann aufzog und Rettich zu essen gab. Da sie dann auch nur noch Rettich
verspeiste und die ganze Wohnung danach stank, wurde sie ins Altersheim
abgeschoben. Für die damals kleine Young-Gun brach eine Welt zusammen.
Nun hockt sie in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie und lernt
eine ganzen Kosmos durchgeknallter Mitpatienten kennen. Die Leute haben
einen Knacks, aber auch immer mal ganz spezielle Fähigkeiten. Während
das Mädchen weiterhin hungert, spricht sie mit dem Getränkeautomaten und
den Deckenlampen. Der Roboter in ihr versucht verzweifelt an Energie zu
gelangen. Il-sun (Jung Ji-hoon) interessiert sich sehr schnell für den
Neuankömmling, der junge Mann ist ein Dieb von ganz besonderen Dingen.
Als Kleptomane hat er es auf Eigenschaften seiner Mitmenschen abgesehen,
die er ihnen versucht zu mopsen...
Der koreanische Filmemacher Park Chan Wook mit einem eher untypischen
Film, wenn man "I´m a Cyborg, but that´s ok" mit seiner Rachetrilogie
"Old Boy", "Lady Vengeance" und "Sympathie for Mr. Vengeance"
vergleicht.
In der Welt der Verrückten kann sich der Filmemacher wieder einmal so
richtig austoben. Die wahnwitzigen Charaktere auf der Krankenstation
sorgen für eine durchweg lebendige und amüsante Story. Spezialeffekte
und phantastische Fantasiewelten runden das Ganze stilsicher ab und
sorgen für wunderbare visuelle Highlights, nicht umsonst wird der Film
als eine Art koreanische Ausgabe von "Die fabelhafte Welt der Amelie"
angesehen. Highlight des Films ist jedoch die äusserst sensible, kleine
Liebesgeschichte, die Park Chan Wook so ganz nebenbei erzählt.
Ein kleines, wunderbares Juwel des koreanischen Kinos.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
Samstag, 25. August 2018
Andrej Rubljow
Regie:Andrej Tarkowski
Die Schaffung eines Kunstwerkes, die Zweifel des Künstlers...
Die Geschichte spielt um 1400, also in einer Zeit als sich das Mittelalter langsam verabschiedete, als der Mensch entdecken und erfinden wollte und sich eine Aufklärung langsam einleitete.
Da ist einmal die Geschichte um den Ikonenmaler Rubljow, der bei dem grossen Meister Theopan lernt, um der Kunst immer vollendetere Formen zu verleihen. Da wird aber auch der Künstler seiner Schranken bewusst, wenn er zum Spielball des Grossfürsten wird, der beispielsweise mehrere Künstler hat blenden lassen, damit sie seinem Bruder als Auftragsgeber keine wertvolleren Kunstwerke machen können.
Eine Zeit, in der der Mensch das Fliegen erprobt - die Eingangssequenz zeigt erste Versuche dazu. Da hebt einer auf dem Kirchturm ab, geht in die Lüfte, nach einem kurzen Hurra gehts dann abwärts auf den Boden der Tatsachen.
Eine stark religiös geprägte Zeit mit ersten Zweifeln an der bedingungslosen Gotteshingabe
Das Land sieht zerstört aus, die Armee mordet. Rubljow erschlägt einen Menschen, um eine Frau vor der Vergewaltigung zu retten. Immer wieder Zweifel, die Ideale des Künstlers verschwinden. Er hört zu Malen auf und schweigt fortan.
Erst die Begegegnung mit Boriska, dem Sohn eines berühmten Glockengiessers führt zu einer Wende.
Boriska hat den Auftrag für den Grossfürsten eine riesige Glocke zu giessen. Mit vollendeter Hingabe führt Boriska, fast Kind noch, dieses Werk aus. Dabei ist nicht das Rezept des grossen Vaters, wie er immer wieder betont, der Schlüssel zur Vollendung seines Kunstwerks - einzig und allein der Glaube des jungen Künstlers und seine Fähigkeit schaffen die vollendete Glocke.
Rubljow beobachtet die Arbeit fanziniert und legt sein Schweigegelübde ab, zusammen mit Borsika will er eine Kirche glanzvoll schön machen, er die Bilder und der andere die Glocke.
180 Minuten - da ist Geduld und Interesse an der Thematik erforderlich. Die Szenen sind nicht actiongeladen, sie strahlen aber eine visionäre Kraft und Vitalität aus. Auch philosophische Inhalte sind wie immer bei Tarkowski mit dabei.
Wenn der Film zu Ende ist, bleiben viele Bilder im Kopf hängen. Tarkowski hat es dem Zuschauer (wie immer) nicht gerade einfach gemacht, man hat Futter zum Nachdenken. Aber ist froh, um diese Bereicherung. Denn Filme von Tarkowski münden vor allem am Ende zur grossen Einheit, lange vorher war man ratlos, fasziniert...und in der Nachbetrachtung überrascht immer wieder die Wucht und die Substanz, die die Filme ausmachen.
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
Hitlerjunge Salomon
Regie: Agnieszka Holland
Europa, Europa...
Bei der Oscarverleihung 1992 hat sich
Deutschland vielleicht zum zweiten Mal um den Sieg in der Kategorie
"Bester fremdsprachiger Film" gebracht. Bereits 1983 wäre
mit Wolfgang Petersens U-Boot Film "Das Boot" sicherlich
der effektiivere Vorschlag gewesen. Doch die German Films Service +
Marketing GmbH entschied sich für "Fitzcarraldo". 9 Jahre
später standen die Zeichen wieder auf Sieg: Agnieszka Hollands
verfilmte mit "Hitlerjunge Salomon" (internationaler Titel:
Europa, Europa) das Schicksal von Salomon Perel, der 1925 in
Peine als Sohn polnischer Juden geboren wurde und durch die Wirrungen
des Krieges flüchten muss und auf seiner Odyssee zum Hitlerjungen
wird. Der Film wurde in den USA hochgelobt und wurde bereits
einige Monate vor der anstehenden Oscarverleihung vom National Board
of Review Award ausgezeichnet, am 18. Januar 1992 konnte der Film den
Golden Globe als bester ausländischer Film entgegennehmen. Doch für
das Jahr 1992 wurde von deutscher Seite gar kein Vorschlag
eingereicht, weil man keinen geeigneten Film zur Hand hatte.
"Hitlerjunge Salomon" kam nicht in Frage, weil er dem
Auswahlgremium zu seicht erschien. Welch eine Fehleinschätzung.
Kritikerpapst Roger Ebert bezeichnete dann auch prompt die
Nomininierung des Films in der kategorie "Bestes adaptiertes
Drehbuch" als deutliche Zurechtweisung von seiten der
US-Filmacademy in Richtung deutsches Oscarkomitee, die einen
möglichen Sieg verschlafen haben.
Selten gab es so deutlich
unterschiedliche Diskrepanzen bei der Kritik eines Films,
International wurde "Hitlerjunge Salomon" fast
ausschließlich positiv besprochen, die deutsche Kritik ging nicht
sonderlich gut mit der Verfilmung der Autobiografie Perels um, viele
Kritiker bemängelten die schwache Inszenierung und auch
schauspielerisch fand man den Film sehr schwach.
Das Publikum möchte aber den Film
schon immer und aus heutiger Sicht kann man diese Nörgelei immer
noch nicht verstehen. Vielleicht lag es an der etwas eigenwilligen
Geschichte selbst, sie erzählte nicht unbedingt von einer Tragödie
mit klar verteilten Rollen im Gut und Böse Schema, sondern zeigt
einen Jungen, der in Not zum phantasievollen Überlebenskünstler
wider Willen wird. Gerade diese verschiedenen Rollen, die Sally Perel
(Marco Hofschneider) zwischen den Pogromen bis zum Ende des 2.
Weltkrieges spielen muss machen die Geschichte ja zu etwas ganz
Besonderem, es gilt sich so anzupassen, dass man den Wahnsinn
überleben kann...die gute Schauspielerleistung des jungen Marco
Hofschneider wirkt sehr authentisch und glaubwürdig, man kann sich
sofort mit ihm und mit seinen Nöten identifizieren.
Zunächst wächst der junge Sally seher
behütet in guten Verhältnissen mit seinen Eltern (Klaus Abramowsky,
Michele Gleizer) und den Geschwistern Isaak (Rene Hofschneider),
David (Piotr Kozlowski) und Bertha (Martha Sendrovicz) auf. Doch 1933
ist die Familie schon üblen Diskriminierungen ausgesetzt, so dass
die Familie beschließt von Peine nach Lodz zu ziehen. Sally geht nur
ungern nach Polen. Auch in der neuen Heimat stehen die Zeichen wieder
auf Flucht, denn die deutsche Armee marschiert am 1. September 1939
in Polen ein und somit ist die Sicherheit, die der Vater anstrebte,
vorbei. Er schickt die beiden Söhne Sally und Isaak in Richtung
Russland, dort so hofft er sind die besten Aussichten. Es kommt aber
sehr schnell zu einer Trennung der brüder und Sally landet in einem
Waisenhaus in Grodno. Der Junge lernt nicht nur die russische
Sprache, er kann sich auf für die Ideologie begeistern. Immerhin hat
er noch brieflichen Kontakt mit seinen Lieben in Lodz, das jetzt von
den deutschen Besatzern in "Litzmannstadt" umbenannt wurde.
Die Familie lebt in einen Ghetto. Bei dem Angriff der Deutschen auf
Russland, muss Sally wieder flüchten. Er wird mit einer Gruppe
anderer Flüchtlinge von der deutschen Armee aufgegriffen. Sally gibt
sich aus Angst als Volksdeutscher aus und behauptet Josef Peters zu
heißen. Er hilft den deutschen Soldaten als Übersetzer und wird
bald als "Jupp" von allen sehr gemocht. Ein Hauptmann nimmt
sich dem Waisenjungen an, den er angibt zu sein und so kommt es
irgendwann zur Aufnahme an eine Adolf Hitler Schule. Dort freundet er
sich mit dem Hitlerjungen Gerd (Ashley Wanninger) an und verliebt
sich in die hübsche Leni (Julie Delpi). Und immer steht läuft die
fürchterliche Angst der Entdeckung mit. So verzichtet er auch darauf
mit Leni zu schlafen, da die Beschneidung zu seiner Aufdeckung als
Jude führt...
Es ist vor allem die Geschichte die so
fasziniert, man kann gar nicht glauben, dass dies sich tatsächlich
so zugetragen hat. Doch es ist eine Geschichte, die tatsächlich so
stattgefunden hat. Salomon Perel war für eine gewisse Zeit dieser
"Hitlerjunge Salomon". Ausser seinen beiden Brüdern
überlebte keiner der Familie Perel den Holocaust. Nach dem Ende des
Krieges emigrierte der Autor nach Israel, weil er sich in Deutschland
nicht mehr willkommen fühlte. Er brauchte 40 Jahre, um das Erlebte
zu verarbeiten, bevor er sich schließlich dazu entschloss seine
Odyssee im 2. Weltkrieg aufzuschreiben. Diese Erlebnisse erschienen
dann erstmalig 1990 als Buch, dass dann auch ziemlich schnell von
Agnieszka Holand verfilmt wurde. Sally Perel feierte in diesem Jahr
seinen 90. Geburtstag und lebt in Israel.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
The Florida Project
Willkommen im Magic Castle Motel...
Das American Film Institute wählte Sean Bakers ungewöhnlichen Film "The Florida Project" unter die 10 besten Filme des Jahres 2017. Und Nebendarsteller Willem Dafoe erhielt immerhin gerechterweise jeweils eine Oscar- und eine Golden Globe Nominierung als bester Nebendarsteller des Jahres.
Den noch eher unbekannten Filmemacher Sean Baker, geboren 1971,
sollte man sich auf jeden Fall merken, denn in seinem Film setzt er
total auf den Kontrast zwischen den amerikanischen Traumwelten wie
Disney Land und der Realität der Straße.
Seine vorigen Filme blieben allesamt Geheimtipps. In "Four Letter
Words" sind junge amerikanische Männer und ihre Einstellung das Thema,
es folgten "Starlet" und "Tangerine L.A.", den er komplett mit einem
iPhone 5S. Er feierte damit beim Sundance Film Festival Premiere.
Mit "The Florida Project" drehte er seinen bisher erfolgreichsten
Film, für den er auch das Drehbuch schrieb. Es ist die Geschichte einer
Mutter und Tochter aus der Unterschicht, die vorübergehend in einem
Motel in der Nähe von Disney World in Florida wohnen.
Dabei nimmt der Film vor allem die Perspektive der kleinen Monee
(Brooklyn Prince) ein, die als Kind noch sehr unbeschwert wirkt. Dabei
hat ihre junge tätowierte Mutter Halley (Bria Vinaite) vor kurzem ihren
Job verloren und das Geld ist natürlich mehr als knapp. Nur durch kleine
Gaunereien, mit Schnorren und gelegentlichem Strippen kann sich die
junge Mutter die Miete fürs Motel leisten. Geschäftsführer dieses
rosaroten Wohnkomplexes ist Bobby (Willem Dafoe), der zwar knallhart die
Miete einfordert, aber dennoch gewisse Sympathien für seine Mieter -
allesamt Unterschicht, allesamt Verlierer - aufbringt. Die kleine Monee
hängt mit ihren gleichaltrigen Freunden Scooty (Christopher Rivera) und
Dicky (Aiden Malik) rum, die Kinder haben ständig Unsinn im Kopf und
frech und respektlos gegen die Erwachsenen. Als sie auf das Auto von
Grandma Stacy (Josie Olivo) spucken, findet das Mom Halley eher witzig.
Aber die drei müssen das Auto zur Strafe putzen und so lernt Monee auch
die etwa gleichaltrige Jancey (Valeria Cotto) kennen, die später ihre
beste Freundin wird. Mom Halley geht mit Ashley (Mela Murder), ebenfalls
alleinstehend und Mutter des kleinen Scooty, am Abend aus. Sie werden
Freundinnen. Doch nicht für lange. Denn die Kinder verursachen durch ein
Feuerzeug einen Brand. Ashley verbietet ihrem kleinen Jungen den
weiteren Kontakt zu Monee. Halley hält sich mit Betrügereien über
Wasser, doch bald muss sie anschaffen gehen. Das Jugendamt bekommt davon
Wind. Am Ende soll ihr die Tochter weggenommen. Doch Monee will bei
ihrer Mom bleiben, sie haut ab und erreicht in Disney das legendäre
Märchenschloß...
Was dann auch das Schlußbild eines hervorragenden Films ist, der
ein realistisches Bild der Unterschicht zeigt. Der Regisseur hegt aber
ebenfalls - ähnlich wie seine Filmfigur Bobby - Sympathien für diese
Benachteiligten, er zeigt daher nicht nur die Schattenseiten und
schlechten Eigenschaften. Er zeigt Halley auch wie sie sich bemüht eine
gute Mutter zu sein, man merkt, dass sie ihre kleine Tochter sehr liebt.
Für die kleine Monee ist die Motelanlage, die die Kinder Magic Castle,
nennen. ein Stück weit unbeschwerte Kindheit. Sean Baker zeigt dies
alles sehr unaufdringlich und phasenweise einfach als Beobachter, der
die Kamera auf diese Welt am Rande der Gesellschaft hält. Dabei
verzichtet er auf eine konventionelle Dramaturgie, vielmehr sind es
Episoden, die am Ende zum Großen Ganzen werden.
Die Umgebung dient als beinahe unwirklicher Katalysator. Der
Spielplatz ist eine Art Sumpfgelände, der Supermarkt hat die Form einer
Orange und über die "Straße der sieben Zwerge" erreichen sie ihr
Zuhause. Gelegentlich essen die Kinder ein Eis aus einem Eisladen, der
die Form einer Eiswaffel hat. Das Motel ist schäbig, bietet aber Schutz
und Heimat. Ein Film mit großer Wirkung - ein bisschen verwandt mit
"American Honey" von Andrea Arnold - fast schon eine Art
Bestandsaufnahme einer benachteiligten Unterschied und ein Film, der
eigenartig faszinierend ist - aber aber auch betroffen macht. Als das
Jugendamt auftaucht ist das ähnlich intensiv wie Ken Loachs "ladybird".
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
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