Donnerstag, 16. August 2018

Der Prozess







































Regie: Orson Welles

Opfer und Täter des Systems...

Als Prolog seines 1962 inszenierten Films "Der Prozess" stellte Orson Welles die ebenfalls von Franz Kafka entlehnte so genannten Türhüterlegende voran. Über eine Reihe von Zeichnungen, die der Trickfilmer Alexandre Alexeieff anfertigte, sieht man einen Verurteilten in verschiedenen Gefängnissituationen. Ein Mann wird gezeigt, der versucht Einlass in "das Gesetz" zu erlangen. Der Türhüter vertröstet den Mann jedoch immer wieder auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Jahre vergehen...kurz vor seinem Tod will der Mann wissen, warum nie ein anderen Mensch jemals kam und Einlass verlangt hatte. Der Türhüter anwortet ihm, dass dieser Eingang nur für bestimmt gewesen wäre und nun werde er ihn schließen. Was folgt ist der schreckliche Alptraum des aufstrebenden Prokuristen Josef K., gespielt von "Norman Bates" Anthony Perkins.
Kafkas Roman beginnt mit den Worten "Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wird er eines Morgens verhaftet" - so irritierend fängt auch die Leinwandadaption von Orson Welles an. Der Mann wacht auf, weil sich die Tür geöffnet hatte und plötzlich ein fremder Mann dort steht. Obwohl dieser seltsame Herr nicht zu erkennen gibt, wer er ist und wieso er hier plötzlich im Zimmer steht, wird schnell klar, dass es sich nur um die Polizei handelt kann. Oder eine Art Ermittlungsbehörde. Zuerst glaubt Josef K., dass der Mann zu seiner Zimmernachbarin Fräulein Bürstner (Jeanne Moreau) will, die immer noch nicht zuhause ist. Das Fräulein Bürstner ist Tänzerin, die Vermieterin Frau Grubach (Madeleine Robinson) ist mit deren Lebenswandel ganz und gar nicht einverstanden. Josef K. versucht bei dem undurchsichtigen Beamten Fräulein Bürstner zu verteidigen, doch bald erfährt er, dass gegen ihn ermittelt wird und er vom Gericht beschuldigt wird. Interessanterweise sind neben den drei Beamten, die sich im Haus aufhalten, auch drei Arbeitskollegen von Josef K. anwesend, was ganz nach einer ungerechtfertigten Verleumdung aussieht - doch man gibt K. keine Anwort auf die Frage, was überhaupt gegen ihn vorliegt. Stattdessen kann jedes Wort, dass er ausspricht, gegen ihn verwendet werden. Zumindest versuchen die gewieften Beamten ihrem Beschuldigten die Worte anders auszulegen. Ein schlechter Tag für Josef K...er erwacht um festzustellen, dass er verhaftet wurde - aber alle Einzelheiten der Anklage werden ihm vorenthalten. In dieser Ausgangslage versucht Josef K. seine Unschuld zu begründen. Was aber ganz schön schwierig ist, wenn man gar nicht weiß, wo die Schuld liegt. Immerhin darf er weiter im Büro arbeiten und sein Onkel Max (Max Haufler) hat für ihn den Advokaten Hastler (Orson Welles) engagiert. Dieser lebt in einem Büro voller Aktenberge und hat mit der hübschen Leni (Romy Schneider) eine Gehilfin, Haushälterin und Geliebte in einem. In seiner Wohnung hält sich auch seit Jahren ein Klient (Akim Tamiroff) auf, der dem Advokaten hündisch ergeben scheint. Irgendwann wird er von der Polizei in den Gerichtssaal geführt und er hält eine flammende Rede, die vom Publikum begeistert gefeiert wird. Hat er damit auch die Richter überzeugt ? Eher nicht, wie er später von Hilda (Elsa Martinelli), einer Gerichtsschreiberin, erfährt. Im Grunde sei er schon so gut wie verurteilt, weil man den Verurteilten am Gesichtsausdruck erkennen kann. Wieder und Wieder versucht Josef K. in dieser labyrinth ähnlichen Umgebung der Wahrheit näher zu kommen und sich von einer Anklage zu befreien, die niemand nennen wird. Doch am Ende steht die Hinrichtung...
Der Schriftsteller Franz Kafka schrieb "Der Prozess" im Jahr 1914/1915. Er hat den Roman nie fertiggestellt und wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. In einem Interview mit Peter Bogdanovich gab Welles auch an, dass er immer wieder unter wiederkehrenden Albträumen gelitten hatte, vor Gericht gestellt zu werden, ohne zu wissen warum und dieser Film war "der autobiografischste Filme, den ich je gemacht habe" - so Welles. Der Ausnahmeregisseur fand sogar, dass "Der Prozess" der beste Film war, den er in seiner Laufbahn gemacht hatte. Die Machart dieses Alptraums ist jedenfalls brillant - gegen Ende des Films die Fabel vom Türwächter neu und projiziert die Zeichentrick-Dias diesmal direkt auf das Gesicht von Josef K. Die unpassierbare Wache mutiert fast zu einem Todesengel. 






Die Geschichte von Kafka ist bedrückend und Welles hat genau diese fiese Stimmung perfekt umgesetzt. Ist es die Angst vor der Modernisierung, die Angst vor einem Staat, dessen Bürokratie und Standards immer mehr über dem Menschen selbst stehen. Auch Josef K. s Arbeitsplatz, an dem er so hängt, ist nichts weiter als eine Verwaltung von Papierkram. Josef K. ist ein seltsamer Held - einerseits introvertiert, schüchtern und nervös. Andererseits aber ein großer Redner und wie andere sagen "einer, der diesem System Paroli bieten könnte". Dabei wirkt er aber beinahe genauso kryptisch wie sein Umfeld - die Geschichte ist deshalb so faszinierend, weil sie so instabil ist. Formal ist "Der Prozess" eine schwarze Parodie auf das bürokratische Rechtssystem -  die Organisation dieser beschriebenen Ordnung erinnert an totalitäre Systeme. Jeder ist nur für eine einzige Sache zuständig - die Polizei weigert sich die Grenzen zu überschreiten. Sie sind nur für die Ermittlung zuständig, für die Verurteilung gibt es die niedrigeren Richter und irgendwann die höheren Richter. Ein System, dass vom Einzelnen nicht durchschaut werden kann und soll. So ist die Paranoia Programm in Welles "Der Prozess". Ein Film, der sicherlich sehr spröde ist, aber sehr interessant gestaltet. So wirkt das Ende so, dass jeder Ort - vom Opernhaus, über den Hörsaal bis zur Kathedrale - alles vereint ist und nur eine weitere Facette derselben Unterdrückung darstellt. Stilistisch hat sich Welles an seinen eigenen Noirs der späten 40s und frühen 50s orientiert. Das Gespenst des Holocaust hebt dabei den Kopf und durchdringt den ganzen Film mit einer morbiden Atmosphäre. Mit der Rolle des Josef K. hat sich Anthony Perkins etwas vom Image des Serienkillers Norman Bates freigeschwommen. Er spielt seine Rolle sehr glaubwürdig und gestaltet seine Figur auch nicht sonderlich sympathisch, was aber positiv ist. Er wirkt weinerlich, oft arrogant und immer wieder verunsichert. Ein Mensch der Masse - die Gesellschaft interessiert sich nicht für ihn, weder für seine Schuld noch für seine Unschuld.






Bewertung: 9,5 von 10 Punkten. 

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