Regie: Helmut Käutner
Schein und Sein...
Nach der Novelle "Kleider machen Leute" des Schweizer Dichters
Gottfiried Keller entstand im Jahre 1940 Helmut Käutners gleichnamiger
Film. Die Geschichte, die in der Schweiz des Biedermeiers (zwischen 1815
bis 1848) spielt, wurde erstmals 1874 im zweiten Band der
Novellensammlung "Die Leute von Seldwyla" veröffentlicht und gehört
immer noch zu den bekanntesten Erzählungen der deutsprachigen Literatur.
Käutners Film sprüht vor Detailfreude und gleich von Anfang an wid der
Zuschauer in eine märchenhafte Stimmung versetzt. Es ist Winter und im
Ort wird das Dreikönigsfest mit einem Umzug durch den Schnee gefeiert.
Fasnacht naht und der bei einem Schneidermeister beschäftigte Geselle
Wenzel (Heinz Rühmann) träumt wieder einmal von einem besseren Leben als
vornehmer Herr. Im Traum sieht er sich als dieser begehrte und gut
gekleidete Herr von großem Ansehen. In der Realiät bleibt ihm aber nur
sein armseliges Dasein und sein Können eben diese edlen Anzüge und
Fräcke für die vornehme Gesellschaft zu schneidern. Am anderen Morgen
soll der Frack für den beleibten Bürgermeister fertig werden, daher
arbeitet Wenzel die Nacht durch. Doch beinahe traumwandlerisch passt er
den Frack auf seine eigene Kröpergröße an. Am anderen Morgen ist die
Katastrophe perfekt. Nach dem Zerwürfnis mit dem verärgerten
Bürgermeister wirft der Meister seinen Gesellen hinaus. Anstelle des
noch anstehenden Lohns behält Wenzel den Frack und trägt ihn auf seiner
nunmehr beginnenden Wanderung zu einer anderen Arbeitsstelle. Er trifft
auf dieser Wanderung auf den Puppenspieler Christoffel (Erich Ponto) und
sitzt dann alsbald in einer vorbeikommenden Kutsche aus Basel, die ins
nahegelegene Städtchen Goldach gebracht werden soll. Der Kutscher meint,
dass sein einziger Fahrgast ein inkognito reisender Graf aus dem
"Russischen" ist. Obwohl Wenzel dies immer wieder verleugnet, nimmt die
Geschichte seinen Lauf und auch in Goldach wird er mit seiner scheinbar
neuen Identität als Graf weiter hofiert. Er lernt dort das hübsche
Fräulein Nettchen (Hertha Feiler) kennen, Tochter des wohlhabenden
Tuchhändlers und Amtsrats von Goldach. Sie ist auch die Verlobte des
Goldacher Schneidermeisters Melcher Böhni (Rudolf Schündler), der als
einziger dem "Grafen" misstrauisch gesinnt ist. Widerstrebend, zugleich
aber mangels eigener Geldmittel fügt Wenzel sich in die neue Rolle, die
ihm aufgrund seiner Kleidung auch erlaubt, ohne Bargeld auszukommen.
Das
stattliche Gefährt erregt schon bei der Ankunft in Goldach Aufsehen.
Kaum hat es vor dem Gasthof "zur Waage"angehalten, ist es schon von
staunendem Volk und dienstfertigem Personal umringt. Alle sind
interessiert an diesem schwermütigen Adligen, der in der Stadt
angekommen ist. Der Wirt lässt prestigemässig vom Besten auftragen, was
Küche und Keller bieten. Wenzel, in größter Verlegenheit, isst und
trinkt nur zimperlich, was ihm sogleich als besondere Vornehmheit
ausgelegt wird. Tatsächlich erwartet auch das im Hotel abgestiegene
Fräulien von Serafin (Hilde Sessak) einen solchen Grafen. Währenddessen
gewinnt Wenzel im Spiel mit den entzückten Ortshonorationen eine Menge
Geld und verliert sein Herz alsbald an Nettchen. Noch komplizierter wird
das Spiel als der echte Adlige aus Russland im Ort eintrifft. Dieser
Graf Alexej Stroganoff (Fritz Odemar) erkennt sehr schnell das
Verwechslungspiel und entscheidet sich weiter zu spielen...er macht sich
zum Komplizen und gibt sich als Diener des Grafen aus. Im Goldacher
Karneval wird die Wahrheit aber aufgedeckt...
Und mit dieser
ausufernden Sequenz um die Demaskierung Wenzels mit Hilfe des
Maskentanzes der Deldwyler Narren, die einen eigenartigen Toten- und
Gespenstertanz aufführen, wird aus dem märchenhaften Charakter der
Erzählung eine bitterböse Parabel über die "gute" Gesellschaft und ihre
Strukturen mit zunächste hochgejubelten und hofierten
Schwindelexistenzen. Der Protagonist wird aber auch sehr schnell wie
eine heiße Kartoffel fallen gelasen und auf die Entlarvung folgt die
Strafe. Auch wenn Käutner ein HappyEnd für seinen Schneider vorgesehen
hat, die Geschichte hat Potential, dass es einem stellenweise eiskalt
den Rücken runterläuft.
Der Inszenierungstil Käutners ist
eindeutig inspiriert von dem Poetischen Realismus des französischen
Films der 30er Jahre. Leider hat "Kleider machen Leute" nie ganz die
Wertschätzung wie "Große Freiheit Nr. 7", "Unter den Brücken", "Der
Hauptmann von Köpenick", "Des Teufels General" oder "Romanze in Moll"
erringen können. Dabei ist die tragische Geschichte sehr geschickt in
einer Mischung aus Komik und Romantik verpackt und wer sich auf den Film
einlässt wird durchaus die versteckten boshaften Subtexte entdecken
können. Darüberhinaus sind die Bildkompositionen von "Kleider machen
Leute" atmosphärisch brillant und für mich sogar ein filmsicher
Verwandter von Cocteaus "La Belle et la bete" aus dem Jahr 1946. Wie in
diesem weltberühmten Meisterwerk des poetischen Films gelingt auch
Helmut Käutner eine großartige märchenhafte Aura.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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