Regie: Ingmar Bergman
Laterna Magica...
"Fanny und Alexander" entstand 1982 und war Ingmar Bergmans letzter
Kinofilm mit einer Laufzeit von 188 Minuten. Im TV lief dagegen noch
eine deutlich längere Version, diese Fassung dauert 326 Minuten. Danach
drehte Bergman seine Filme nur noch ausschließlich fürs Fernsehen.
"Fanny und Alexander" kann man in 3 Bilder oder Stimmungen einteilen.
Die erste strahlt Lebensfreude gemischt mit Tradition aus. Der Zuschauer
nimmt teil an einem schwedischen Weihnachtsfest des Jahres 1907 in
Upsalla.
Das zweite Bild könnte krasser kaum sein: Mit dem Auszug aus dem
Hause Ekdahl ist die sinnlich-heitere Welt vorbei und so geraten die
Geschwister Fanny (Pernilla Allwin) und Alexander (Bertil Guve) in eine
Art Gefängnis, in dem Askese und Strenge ständig präsent sind. Das
dritte Bild wird durch einen äusserst interessanten cineastischen
Kunszgriff eingeleitet, der den Zuschauer zuerst verwirrt und dann in
eine vielschichtige Meditation des Glaubens, der Religion und der Wunder
eintaucht. Bergmans Alterswerk vereint auch drei wichtige thematische
Blöcke, die in seiner Filmographie schon vorher immer wieder sehr
präsent waren: Der Künstler und die Kunst, die Religion und die
übersinnliche Ebene.
Gleichzeitig ist "Fanny und Alexander" nicht nur Bergmans Triumph,
sondern auch der Höhepunkt im Schaffen des legendären schwedischen
Kameramannes Sven Nykvist, der hier diese Zeit vor mehr als 100 Jahren
in wunderbaren und unvergesslichen Bildern präsentiert. Für "Fanny und
Alexander" bekam er nach "Schreie und Flüstern" seinen zweiten Oscar in
der Sparte "Beste Kamera" zugesprochen. Insgesamt konnte der Film vier
Oscars gewinnen. Natürlich wurden die beste Ausstattung und die besten
Kostüme prämiert - auch der Preis für den besten Auslandsfilm konnte
gewonnen werden.
Am Weihnachtstag des Jahres 1907 lädt Helena Ekdahl (Gunn Wälgren)
wie jedes Jahr zum Fest ein. Die Vorbereitungen sind präzise und jeder
der Dienstboten kennt seinen Aufgabenbereicht. Das ganze Haus erstrahlt
im weihnachtlichen Glanz. Seit dem Tod ihres Mannes ist Helena als
Großmutter das Familienoberhaupt. Ihre drei Söhne Oscar (Allan Edwall),
Gustav Adolf (Jarl Kulle) und Carl (Börje Ahlstedt). Oscar leitet
gemeinsam mit seiner jungen Ehefrau Emilie (Ewa Fröling) das städtische
Theater. Das Paar hat zwei Kinder....Fanny und Alexander. Mit
Kinderaugen beobachten sie genau das festliche Treiben im Haus während
sie spielen und schauen was die Erwachsenen alles tun. Dabei fällt ihnen
auf, dass Gustav Adolf, verheiratet mit Alma (Mona Mann), heftlg mit
dem Dienstmädchen Maj (Pernilla August) flirtet. Tatsächlich ist Gustav
Adolf ein richtiger Schürzenjäger. Carl dagegen ist eher dem Alkohol
zugetan.
Kurze Zeit später werden die Kinder aber mit einem tiefen Verlust
konfrontiert. Das kurze Sterben und der Tod des Vaters verstören vor
allem den zehnjährigen Alexander. Emilie geht bald eine neue Ehe mit
Bischof Vergerus (Jan Malmsjö) ein, der sie in der Zeit nach Oscars Tod
seelisch trösten und auch stabiliseren konnte. Der Witwer, der seine
Frau und zwei Kinder durch ein Unglück verlor, verlangt aber von seiner
Angetrauten den Bruch mit ihrem alten Leben. Sie soll ins Bischofshaus
ohne ihre alten Besitztümer einziehen. Auch die Kinder sollen nach ihrem
Willen die Spielzeuge zurücklassen. Alexander gelingt es jedoch seinen
alten Teddybären mitzubringen, den er meistens unter der Bettdecke
versteckt. Vergerus und seine Familie (Kerstin Tidelius; Marianne
Aminoff, Harriet Anderson, Hans Henrik Lerfeld, der als bettlägerige
Elsa eine Frauenrolle spielt) führen ein strenges Regiment und Vergerius
hat aufgrund von religiösem Fanatismus auch üble Erziehungsmethoden für
die Kinder parat: Sie werden eingeschlossen und Alexander mit der Rute
gezüchtigt, als er eine Lüge erzählt. Bald ist die Ehe auch am Ende,
aber es bedarf der Hilfe des Juden Isak Jacobi (Erland Josephson) und
vor allem auch durch ein Wunder Gottes, dass die Kinder aus dem Haus des
Despoten entführt werden können. In Isaks Haus trifft Alexander auf den
Puppenspieler Aron (Mats Bergman) und auf dessen 16jährigen Bruder
Ismael (Stina Ekblad in einer Männerrolle). Ismael gilt als psychisch
krank und gefährlich, er konfrontiert den kleinen Alexander mit dessen
Hass. Ismael kann gar nicht glauben, dass ein junger Mensch schon soviel
an Hass in sich tragen kann. Mit dieser Kraft könne man Menschen töten.
Alexander wehrt sich gegen diese destruktiven Mächte im Inneren und hat
eine Vision, er sieht dabei einen brennenden Menschen. Tatsächlich wird
am anderen Tag bekannt, dass der gehasste Stiefvater bei einem
Hausbrand sein Leben verlor...
Diese Szenen sind das Innere dieser Familienchronik, die zuerst
sehr ausschweifend und voller Detailreichtum das pralle, aber auch den
Normen verpflichtete Leben einer Großbürgerfamilie offenlegt. Alles in
dem Bild des harmonischen Weihnachtsfestes, dort werden die menschlichen
Eigenheiten und Charakterschwächen auch leise und subtil offenbart.
Danach leben die Kinder in einem freudlosen Haus, eigentlich ein
Gotteshaus, aber durch den wütenden Hass weit davon entfernt ein Ort der
Liebe zu sein. Von der bürgerlich-liberalen Welt hinein ins eine
klerikale Hölle, der man nur durch ein Wunder entkommen kann. Und hier
mündet "Fanny und Alexander" ein in eine Welt voller Mysterien und
Geheimnisse. Und vor allem auch eine Wanderung durch die tiefere, dunkle
Seite des menschlichen Geistes. Opulent wie Viscontis "Leopard" hat
Bergmans Film aber auch stellenweise die Struktur eines sozialkritischen
Märchens, manchmal fühlte ich mich an Charles Dickens erinnert.
Die Brüchigkeit der bürgerlichen Ordnung ist allgegenwärtig und
Alexander erkennt dies bereits, flüchtet sich in seine Phantasie.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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