Mittwoch, 13. Dezember 2017

Taschengeld







































Regie: Francois Truffaut

Ein Schuljahr in Thiers...

Auffallend oft kommen in Truffauts Filmen Kinder vor. In vier seiner Kinofilme spielen sie sogar die Hauptrolle, sein erster langer Spielfilm "Sie küssten und sie schlugen ihn" aus dem Jahr 1959 handelt vom Umgang mit problembehafteten Kindern. Schon lange vorher interessierte sich Truffaut für pädagogischen Umgang mit schwierigen Kindern, er setzte sich auch öffentlich für die Rechte von schutzbedürftigen Kinder aus sozial schwachen Schichten ein.
1967 gestaltete er sogar einen Tag lang auf dem Radiosender France-Culture ein etwa 10stündiges Programm mit dem grossen Thema "Kindesmisshandlung".
Dieses starke Engagement für die Sache der Kinder liegt vor allem in Truffauts eigener Kindheit begründet. Truffaut reflektiert in den Kinderfiguren seiner Filme seine eigene Kindheit - so auch bei diesem 1976 entstandenen "Taschengeld", der wohl das am wenigsten bekannte Filmwerk Truffaut blieb. Obwohl der in 18 stimmungsvollen Episoden aufgeteilte Film erfolgreich auf der Berlinale 1976 als französischer Wettbewerbsbeitrag lief, allerdings dort gegen Altmans "Buffalo Bill und die Indianer" verlor.
"Taschengeld" führt uns nicht nur zurück in die legendäre Kinokultur der 70er - er zeigt uns ein Schuljahr im Städchen Thiers. Kinder und Erwachsene beschäftigen sich mit den Dingen des Alltags wie dem ersten Schultag, erste schüchterne Küsse im Kino, Moliere auswendig lernen in der Klasse der Französisch Lehrerin Chantal Petit (Chantal Mercier). Beliebt ist Lehrer Jean Francois Richet (Jean Francois Stevenin), der frisch verheiratet und angehender Papa ist. In der Schule für Jungen interessiert man sich schon sehr für die Mädchen.  Nicht nur die Zwillinge de Luca (Claudio und Franck de Luca) gucken dem anderen Geschlecht nach - auch wenn die Angebetete viel älter ist als unser 13jähriger Junge Patrick Desmouceaux (Patrick Desmouceaux), der ist nämlich in Madame Riffle (Tanja Torrens), der Frau des Friseurs und Mutter seines Klassenkameraden Laurent (Laurent Devlaeminck) verliebt. Der Junge ist aber für die Liebe noch viel zu schüchtern. Als sein Freund Bruno (Bruno Staab) zwei etwas ältere Mädels (Pascale Brouchon, Eva Truffaut) für einen Kinobesuch aufreist, hat er Hemmungen das Mädchen zu küssen. Aber nicht bei allen läuft der Alltag unbeschwert, ein Fenstersturz des kleinen Gregory (Gregory) endet wie durch ein Wunder glimpflich, nur seine Mom (Nicole Felix) fällt vor Schreck in Ohnmacht. ..und mehrere Ladendiebstählen eines des kleinen Julien Leclou (Philip Goldmann) lassen im Laufe des Sommers eine schockierende Wahrheit erkennbar werden. Truffaut hat ein gutes, sensibles Gespür für seine Darsteller und öffnet den Erwachsenen die Augen für die Nöte der Kinder. Taschengeld lehrt auf liebenswerte, zurückhaltende Weise, die Welt wieder aus der Perspektive der Kinder zu sehen - eine kleine Rückkehr zu den magischen Augen.



In "Taschengeld" ist dieser unnachahmliche Truffaut Touch ständig präsent, wie er so elegant und leicht von Szene zu Szene ein vielschichtiges Bild abliefert und wo genau die Brise Melancholie mitschwingt, die die Geschichte braucht. Eine sehr gelungene poetische Hommage an die Freuden, Sehnsüchte, Enttäuschungen und Wunder der Kindheit. Vielleicht ein Film für den zweiten Blick, aber ein Blick, der sich auf jeden Fall wieder lohnt, weil er auch eigene Erinnerung freisetzen kann. Solche Kinofilme gibt es heute leider nicht mehr. Für mich gehört "Taschengeld" auf alle Fälle zu den großen Sternstunden des europäischen Films der 70er Jahre. Dieses magische Kaleidoskop lebt auch von der klasse Kamerarbeit von Pierre William Glenn.




Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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