Regie: Abel Gance
Der Retter Frankreichs...
Mit Hilfe seiner Kameraleute Jules Kruger, Joseph Louis Mundwiller
und Leonce Henri Burel erhöhte Regisseur Abel Gance für sein
Historienepos "Napoleon" die Mobilität des Filmapparats. Er wollte, dass
der Zuschauer mit Haut und Haar am Geschehen beteiligt war. Also hängte
man Kamera an Drähten auf, ließ sie von einer Seite zur anderen
schwingen und an allem befestigen, was Räder oder Beine hatte, sei es
ein Fahrrad, einer der Kameramänner oder ein Pferd. Doch trotz
überreicher Phantasie mahnte sich der Filmpionier immer wieder selbst
nicht in die Gefahr zu geraten visuell zu übertreiben.
Eine der großen Pioniertaten dieses ambitionierten Filmprojekts aus
dem Jahr 1927 war das Triptychon, bei dem sogar am Ende des Films die
Farben der Trikolore zum Einsatz kamen. Dieser frühe Cinerama Effekt
hieß Polyvision. Er bot auf einer dreifach geteilten Leinwand sowohl
Gesamtansichten als auch eine dramaturgische Mehrstimmigkeit, weil
zeitgleich drei verschiedene und einander ergänzenden Handlungsmomente
ablaufen konnten. Nach 7 Monaten am Schneidetisch stand der Premiere im
Kino nichts mehr im Wege. Sie fand am 7. April 1927 in der Pariser Opera
Comique statt und sie wurde zum großen Triumph. "Napoleon" wurde danach
in weiteren europäischen Städten gezeigt - die Länge des Films betrug
gut sechseinhalb Stunden. Sie wurde aber bald wieder geschnitten, da der
Tonfilm viel attraktiver wurde als ein Stummfilm mit diesen verwegen
anmutenden Laufzeiten.
In Deutschland wurde der Film eher reserviert aufgenommen und auch
heute noch sind viele Kritiker der Meinung, dass Gances Werk eher eine
hochpatriotische Mär mit einer überlebensgroßen Figur im Sinn hatte, der
in einer Szene nicht nur das Meer bezwingt, sondern zeitnah den Konvent
überzeugt Retter der Franzosen zu werden und der französischen
Schreckensherrschaft ein Ende zu bereiten.
Diese von Kevin Brownlow rekonstruierte Fassung aus dem Jahr 1981
wurde durch die eindringliche Musik von Carmine Coppola (Vater des
Regisseurs Francis Ford Coppola) neu untermalt. Der Film handelt von
Napoleons Schulzeit bis hin zum Italienfeldzug 1796 und hat eine
Laufzeit von 222 Minuten.
Dennoch blieb der Film ein Torso, gleichsam nur das Vorspiel zu
dem, was dem Filmemacher Gance vorschwebte. Gance selbst in der Rolle
des Saint Just zu sehen.
Ein Höhepunkt der frühen Filmgeschichte - vor allem wegen seinem
perfektem Rhythmus und einer suggestiven Eindringlichkeit, die von
Anfang bis Ende gegeben ist. Phasenweise wirkt "Napoleon" wie ein
überlanger meditativer Videoclip.
Die ersten Szenen sind dem Jungen Napoleon (Wladimir Roudenko)
gewidmet, der ein Einzelgänger auf der Militärakademie in Brienne ist.
Bereits bei einer Schneeballschlacht beweist er militärisches Geschick.
Doch seine Lehrer und Mitschüler mögen ihn nicht sonderlich. Zwei
Mitschüler nehmen Rache wegen der Schneeballschlacht und öffnen die Tür
des Käfigs von Napoleons geliebtem Adler. Der fliegt auf und davon,
Napoleon trauert um seinen verlorenen besten Freund. Dann plötzlich
taucht der Adler wieder auf und setzt sich zu dem Jungen. Der Adler wird
noch mehrmals symbolisch im weiteren Verlauf der Geschichte verwendet.
Der erwachsene Napoleon (Albert Dieudonne) fühlt sich berufen Frankreich
zu stärken. Dann beginnt die Revolution. Der König und die Königin
fallen der Schreckensherrschaft der Jakobiner zum Opfer. Doch die auch
die Köpfe der Revolution - Marat (Antonin Artaud), Robespierre (Edmund
van Daele), Danton (Alexandre Kubitzky) und Saint Just - werden auf dem
Schafott rollen. In einer magischen Szene sprechen die toten Führer der
schreckensherrschaft in den leeren hallen des Konvents zu Napoleon und
bezeichnen ihn als den Vollstrecker der neuen Ordnung. Die der
Guillotine nur durch Glück entgangene Josephine de Beauharnais (Gina
Manes) wird Napoleons große Liebe, die er später heiratet. Am Ende steht
der Italienfeldzug...
Eindrucksvoll wie Abel Gance mit seinem "Napoleon" bereits im Jahr
1927 von der Einheit Europas als riesiger Staat und Heimat aller
Menschen spricht. Europa soll nicht nur geeinigt werden, sondern auch
durch die Niederschlagung aller Grenzen in eine universelle Republik
münden. Napoleons Ziel ist der Friede ohne Waffen, aber vorher muss
natürlich viel Krieg geführt werden. Somit sah Gance Napoleon sicherlich
als Idealisten und vom Schicksal getriebenen Kämpfer, gesapnnt auf das
Rad der Historie und leider dazu verurteilt, im Kampf ein höherwertiges
Ziel zu verfolgen. Die Bilder bleiben im Kopf - auch die Gesichter der
beiden Napoleon Darsteller Wladimir Roudenko und Albert Diendonne.
Bewertung: 9,5 von 10 Punkten.
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