Dienstag, 24. Juli 2018

Kes







































Regie: Ken Loach

Billy Casper und sein Falke...

Billy Casper, ein Junge aus einer tristen Bergarbeiterstadt namens Barnsley in Nordengland, trainiert auf einer grünen Wiese seinen Falken Kes. Von weitem ist die Stadt mit den vielen Schornsteinen zu sehen. Ein flüchtiger Lichtblick, der das Leben des Jungen für kurze Zeit erhellen kann. Am Ende von Ken Loachs "Kes" wird aber diese Hoffnung jäh vernichtet, das Schlußbild zeigt Billy, wie er seinen geliebten Falken in der Erde begräbt. Getötet aus Rache, denn der Junge vergaß den Tippschein seines Bruders abzugeben, der diesem 16 Pfund eingebracht hätte. Aus Wut musste dann der stolze Raubvogel dran glauben, der für den Tierquäler "nicht mal 3 Pence wert ist" - ein extrem trauriger Moment, als Billy seinen Vogel aus dem Mülleimer holt. "Kes" entstand 1969 nach dem Roman "Und fing sich einen Falken" von Barry Hines, der dann auch gemeinsam mit dem damals noch auf Anfang seiner Karriere stehenden Ken Loach das Drehbuch. An den Rechten für eine Verfilmung war auch Disney interessiert, sie bestanden allerdings am Ende auf ein Happy End. Dies wollte Hines auf keinen Fall - er sah darin die Integrität seines Werkes zerstört. Tatsächlich bezieht der sozialkritische Film seine große Stärke aus dieser Vernichtung einer Hoffnung für eine bessere Zukunft.
Intererssanterweise konnte Ken Loach lange Zeit nicht an den Erfolg von "Kes" anknüpfen, es gelang ihm jedoch Anfang der 90er aber tatsächlich ein fulminantes Comeback mit Filmen wie "Riff Raff", "Raining Stones", "Ladybird Ladybird" oder "Land and Freedom" - möglicherweise lags daran, dass man es ab dieser Zeit dem bekennenden Trotzkisten nicht mehr ganz so schwer machte wie in der Zeit von Maggie Thatcher, wo es immer mal wieder Sendeverbote oder Zensurauflagen gab. Tatsächlich erinneren Loachs Arbeiten ein bisschen an der italienischen Neorealismus. Auch "Kes" zeigt realistisch ein Bild der tristen Arbeiterstädte Nordenglands, die Jugend ist sozial benachteiligt und daher auch perspektivlos. Dies gilt für den 15jährigen Billy Casper (David Bradley). Der Vater ist abgehauen, war gewalttätig und ein Alkoholiker. Mit seinem älteren Stiefbruder Jud (Freddie Fletcher) muss er zwar das Bett teilen, doch ansonsten streiten sich die Brüder oft. Mutter Casper (Lynne Perrie) ist berufstätig, freut sich auf den Samstag, wo sie auch Männerbekanntschaften macht und kümmert sich eher wenig um ihre Sprösslinge. Billy ist in der Schule einer der Aussenseiter - er ist der Junge, der immer wieder durch Dummheiten und Streiche auffällt, aber auch von seinen Mitschülern geärgert wird. Im Sportunterricht treibt er den Lehrer zur Weißglut. Wenn der überforderte Schuldirektor Tazen auf die Handteller der Schüler verteilt, dann ist Billy meistens dabei. Ansonsten ist der Junge ein Träumer, der noch keinen Plan fürs weitere Leben hat. Eines Tages ändert sich aber alles, als Billy ein Falkennest entdeckt und dort einen der jungen Vögel mit nach Hause nimmt. Natürlich wächst mit dem Vogel auch das Interesse für die Falknerei. Der Junge bewundert seinen gefiederten Freund, weil dieser sich nicht zähmen lässt. Das Tier bleibt unabhängigig und stolz, genauso ist er fasziniert von dem Jagdverhalten des Falken. Da er das Buch über Falknerei, dass er in einem Second Hand Shop geklaut hat, eingehend studiert hat, gelingt es ihm tatsächlich das Vertrauen von Kes zu gewinnen. Nach einer gewissen Zeit sind die beiden so stark verbunden, dass Billy den Vogel frei fliegen lassen kann. Kes kehrt wieder zurück - die Freundschaft mit Kes und auch die Verantwortung, die mit dieser Freundschaft verbunden ist, stärken den Jungen mental. "Kes" ist kein Spielzeug, sondern ein Lebewesen, dem man Respekt zollt. In der Englischstunde spricht Billy über sein neues Hobby, der Englischlehrer Mr. Farthing (Colin Welland) lobt den Jungen dafür und auch die Mitschüler hören andächtig zu als der Junge von seinen Erfahrungen mit dem Falken erzählt..






Leider endet der Film sehr traurig und die Einstellung von Jud macht einfach traurig, vor allem weil man diese destruktive und zerstörerische Verhaltensweise auch immer wieder in den eigenen Erlebnissen finden kann. "Kes" ist ein wunderschöner Film über die Freundschaft, über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier und über die wichtigen Dinge des Lebens. Ebenso ein Plädoyer für Freiheit. Ebenso aber werden diese schönen Momente von einer zerstörerischen Kraft heimgesucht, die in einem Augenblick alles kaputtmachen kann, was einen Wert hat. Loach hat einen emotional aufwühlenden Film gemacht mit sehr viel beeindruckenden Einzelszenen. Unvergessen die Sequenz vom Sportunterricht, wo der Lehrer den großen Fuballgott mimt und die Jungs total schikaniert. Man sieht wie überfordert die Lehrer auch mit den Schülern sind, die nicht ganz so gute Startmöglichkeiten in einen Beruf haben werden. "Kes" kam in der Umfrage über die 100 besten britischen Filme aller Zeiten auf Platz 7 - ein Rang, den er auf alle Fälle verdient hat. Noch immer ist "Kes" das absolute Meisterwerk eines Spitzenregisseurs, der viele gute Filme realisiert hat. Der nüchterne Dokucharakter des Films verstärkt sogar die emotionale Wucht, die der Film in sich hat. Die meisten Figuren wurden von Laiendarstellern gespielt - so auch David Bradley der junge Hauptdarsteller, der Sohn eines Bergarbeiters, blieb bei der Schauspielerei und konnte in der Theateraufführung des Stückes "Equus" große Erfolge feiern.





Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

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