Regie. Walther Ruttmann
Berlin, Frühling 1927..
Walther Ruttmann ist einer der Pioniere des deutschen Films. Er
prägte als Kameramann und Filmregisseur mit abstrakten
Experimentalfilmen das Film-Geschehen in der Weimarer Republik. Der am
28. Dezember 1887 in Frankfurt am Main geborene Ruttmann verstarb 1941
in Berlin nach einer Operation an den Folgen einer Embolie. Mit
Kurzfilmen etablierte er sich im noch jungen Filmgeschäft. Dabei
zeichnete er 1924 die "Falkentraum-Sequenz" für das Filmepos "Die
Nibelungen" von Fritz Lang. Zwei Jahre später arbeitete er bei Lotte
Reinigers Scherenschnitt-Animationsfilm "Die Abenteuer des Prinzen
Achmed" mit. 1927 schuf er dann sein Hauptwerk: Der Montagefilm "Berlin -
Die Sinfonie der Großstadt" dokumentiert einen Tagesablauf der
Metropole Berlin. Der mit einer hohen ryhthmisch geschnittenen Dynamik
ausgestattete Film lässt den Einfluß von Sergej Eisenstein erkennen und
beginnt mit einer atmosphärisch dicht inszenierten Bahnfahrt. Der
Schnellzug wird von einer Dampflokomotive gezogen und ist noch mehr als
100 Km von der Hauptstadt entfernt. Dabei passiert der Zug Wiesen,
Lauben- und Wohngebiete. Der Zuschauer hat das Gefühl mitzufahren und
bald trifft der Zug auch im Anhalter Bahnhof nahe dem Stadtzentrum ein.
Doch die Stadt schläft noch. Aus der Vogelperspektive gleitet der Blick
über die Dächer Berlins und zeigt die noch leeren Straßen der Großstadt.
Doch langsam wird die Stadt wach. Die Straßen füllen sich mit den
Menschen, die sich auf dem Weg zur Arbeit machen. Mit der immer höheren
Anzahl von Menschen auf den Straßen passt sich auch der Rhythmus des
Films diesem hektischen Treiben an.
"Berlin - Symphonie
einer Großstadt" hatte im September 1927 Kinopremiere. Auch heute noch
faszinieren diese schwarz-weißen Impressionen aus der Weimarer Republik,
Bild, Musik und Montage wurden von Walter Ruttmann zu einer extrem
stimmungsvollen Einheit verschmolzen. Es sind Bilder und Momentaufnahmen
eines typischen Berliner Frühlingstages. Der erste Teil ist dem Morgen
der Stadt gewidmet, dann folgt der Mittag, man sieht wie die Berliner
ihre Mittagspause nutzen, geht dann über in den Abend mit dem Ende der
Arbeit, wo dann auch schon das Nachtleben beginnt.
In einer
Szene sieht man das Treiben der Menschen, die wie Ameisen wirken. Alle
gehen ihrem Tagwerk nach und Ruttmann verquickt diese Szene der zur
Arbeit gehenden Menschen mit zwei anderen Szenen: Zum einen sieht man
eine Kuhherde, die in einen Schlachthof getrieben werden. Die andere
Szene, die in diesen Fluß hineingeschnitten wurde ist das Aufmarschieren
von Soldaten. Man hat Ruttmann vielfach vorgeworfen, dass das
Individuum dabei in einer auf Oberflächen reduzierten Formenvielfalt
verschwindet.
Die Bilderfolge hat eine hohe Bewegungsdynamik
und steigert sich phasenweise in einen regelrechten Bilderrausch hinein.
Stimmungstechnisch perfekt begleitet wird das 65 minütige Filmvergnügen
aus einer längst vergangenen Zeit von der Musik des Komponisten Edmund
Meisel. Auch seine Arbeit ist schnell, rasant und betont die Bilder.
Dies ist ein echter Soundtrack zum Film und zur Stadt. Die Dokumentation
wartet nicht nur mit faszinierenden Bildern der Metropole an der Spree
aus den goldenen Zwanziger Jahren auf. Hier werden auch
gesellschaftliche Gegensätze portraitiert und verschiedene soziale
Milieus und die brodelnde Atmosphäre einer Großstadt festgehalten, eine
Großstadt am Puls der Zeit.
Der Film war und ist nicht
unumstritten, aber er ist mit Sicherheit ein herausragender Vertreter
deutscher Filmkunst, trotz der ihm vorgeworfenen Oberflächlichkeit.
Schon der Anfang mit dem einfahrenden Zug ist die brilliante Machart des
Konzeptfilm zu erkennen. Typisch dazu die ungewohnt rasanten
Schnittfolgen. Danach gehts zwar etwas ruhiger zu, aber dennoch wagt
Ruttmann immer wieder ungewöhnliche Kameraeinstellungen. Das typische
Bild der Industrialisierung trifft hier durch sehr viele Komponenten
zusammen: Die Eisenbahn, die stampfenden Maschinen in der Fabrik, der
Verkehr auf der Straße, die nächtliche Beleuchtung der Stadt. Der
Zuschauer kann zu den Bildern eigene Emotionen bilden, wenn er in einer
der Szenen Bettler und arme Straßenmusikanten sieht. Neben dem tristen
Leben in Sozialbauten sieht man aber auch das schicke Leben der High
Society. Beide Gegensätze treffen immer wieder für eine Momentaufnahme
zusammen und trennen sich auch wieder. Das pulsiierende Leben in der
Metropole des Jahres 1927 weckt aber auch immer wieder den Gedanken
daran, dass sich 6 Jahre später soviel veränderte.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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