Mittwoch, 24. Januar 2018

Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht







































Regie: Edgar Reitz

Jakobs Traum...

"Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht" ist als Film eine regelrechte Offenbarung - vor allem in einer Zeit, in dem das Kino mit Sensationen und Effekten nur so um sich wirbelt und von einem Blockbuster zum Anderen Millionen scheffelt. Dabei braucht es nur eine gute, authentische Geschichte, in dem endlich wieder das Augenmerk auf interessantere Charaktere gelegt werden. Regisseur Edgar Reitz hat meines Erachtens mit diesem 230 Minuten langen Epos all das geschafft, was ich eigentlich in der heutigen Filmlandschaft als unwiederbringlich verloren glaubte. Ein Film, der scheinbar sperrig sein soll (was er aber zu keiner Zeit ist) und der sich lange und sorgfältig Zeit lässt seine Geschichte aufzubauen und der dann irgendwann eine unheimliche Sogwirkung entwickelt. Ich würde vom besten deutschen Film der letzten 30 Jahre sprechen. Ein Film, der nicht nur von einem großen Filmemacher getragen wird, sondern auch von einem Weltklasse-Kameramann, dem in Dresden geborenen Gernold Roll optisch veredelt wird. Bravo, das Wagnis einen überlangen Monumentalfilm in Schwarz-Weiß zu machen, ist erstklassig geglückt. Jan Dieter Schneider, ein unverbrauchtes junges Gesicht, trägt den Film als Hauptfigur mühelos und bringt dem Zuschauer eine Sehnsucht nah, die man auch heute auch tief im Herzen empfinden kann - obwohl die Zeiten ganz andere sind und lange nicht so drastisch wie in dieser Zeit der Jahre 1840 bis 1845 im Hunsrück.
Dort - in dieser Zeit, die einen ganz anderen Rhythmus hat als unsere heutige von Hektik und Stress geprägte Welt. Die Menschen mussten hart arbeiten, konnten aber auch vielleicht viel mehr als heute mal ein paar Stunden innehalten und die schöne, waldreiche Naturlandschaft geniessen, die dort existierte. Die Menschen sind einfach, religiös geprägt. Johann Simon (Rüdiger Kriese) ist der Dorfschmied und hat seine Tochter Lena (Melanie Fouche) vom Hof verstoßen, weil sie den Katholiken Walter (Martin Schleimer) geheiratet hat. Gustav (Maximilian Scheidt) kehrt heim, er war zwei Jahre bei den Soldaten. Sehr zur Freude des Vaters, denn der zweite Sohn Jakob (Jan Dieter Schneider) liest lieber Bücher und bildet sich als körperlich anzupacken. Unterstützt wird der romantische, melancholische Junge aber von seiner Mutter (Marita Breuer), die ihn immer wieder in Schutz nimmt. Jakobs großer Traum ist das Auswandern nach Brasilien, er liest Bücher über die Reiseerfahrungen anderer in die neue Welt, ausserdem lernt er bereits die Sprache der Indianer Südamerikas. Und die Chancen für eine Auswanderung stehen auch gar nicht so schlecht, denn schon einige Hunderttausende von Landsleuten haben die Heimat verlassen. Oft sind es ganze Familienverbände, die Abschied nehmen und nie wiederkehren.  In den Kneipen, während der Kerbe und auch bei den Familienfesten findet sich kein aktuelleres Thema. Der Hunsrück, in dem Jakob aufwächst, gehört zu den Regionen Deutschlands, die am stärksten von der Auswanderungswelle betroffen waren. Angeworben wurden sie von Kaiser Pedro I, der europäische Kräfte suchte um sein Land urbar zu machen, vor allem begehrt waren Landwirte oder Handwerker. Also alles gute Zukunftsaussichten, wenn man sich entschloß die Wurzeln aufzugeben und in eine ungewisse, aber verheißungsvollere Zukunft aufzubrechen. Das war Jakobs Traum. Dazu gab es schreckliche Missernernten und sehr viel soziales Elend, unerträgliche Steuern - zu dieser Zeit - und Jakob steht da auch für einen dieser Vertreter einer neuen Richtung - kam aber auch der Gedanke auf, dass jeder einzelne Mensch Anspruch auf eigenes Lebensglück hat. Dies war ein aufkeimender Wunsch, aber noch dominierte die Demut und Ergebenheit gegenüber der Obrigkeit.
Der Alltag ist geprägt von viel Arbeit, von einigen Schicksalschlägen. Der geliebte Onkel (Reinhard Paulus), der Jakob immer verstanden hat, fällt eines Tages plötzlich tot um. Auch Schwärmereien und vielleicht die Jugendliebe hält Einzug ins Leben des jungen Träumers, denn mit den Mädchen Jettchen (Antonia Bill) und ihre Freundin Florinchen (Philine Lembeck) hat Jakob plötzlich ein Geheimnis...



 Wahnsinng atmosphärische Bilder zeigen in endlosen Kolonnen die hochbeladenen Pferdefuhrwerke, wie sie über Berg und Tal ziehen, um von ihrer Heimat zu den weit entfernten Seehäfen zu gelangen.
Der Film erzählt von einer nicht greifbaren Sehnsucht und von Abschied. Aber er ist auch geprägt von diesem Aufbruchgedanken, der keine Wiederkehr vorsieht. "Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht" wurde an Orginalschauplätzen im Hunsrück mit großem Aufwand an Bauten und historischer Ausstattung gedreht. Dabei passiert das Beste, was einem Historienfilm passieren kann: Der Zuschauer ist nach einer gewissen Zeit tatsächlich in dieser völlig anderen Zeit vor ca. 170 bis 175 Jahren gefühlsmäßig angekommen und passt sich dort an. Es ist ein Einblick in eine fast verlorene und vergessene Epoche oder Vergangenheit, wenn da nicht einige Gefühle auch heute noch existent wären und so der Bezug zum Hier und Jetzt aufrechterhalten bleibt. Es geht dabei um Leben und Sterben, auch um die wichtigen Grundbedürfnisse des Menschen, dem Wunsch nach einem besseren Leben. Jakob liest Bücher und schafft so ein eigenes Universum aus Wissen und Träumen. Dabei geht das Leben aber oft seltsame Wege und vielleicht sind Träume deshalb so schön, weil sie noch unerreichbar sind. Filmisch ist Edgar Reitzs Film stark mit dem großartigen zweiteiligen schwedischen Filmepos "Utvandrarna/Nybyggarna" (Die Emmigranten/Das neue Land) von Jan Troell verwandt. Was ihm übrigens eine Oscarnominierung einbrachte. Daher hab ich mich auch ein bissel gewundert, warum man mit "Die andere Heimat" nicht den besten deutschen Film des Jahres ins Oscarrennen schickt. Chance auf die Trophäe vielleicht mal wieder verpasst...wie schon in 1992 als die deutsche Oscarkomission "Hitlerjunge Salomon" nicht für erfolgsversprechend und geeignet hielt. 




Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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