Regie: Jean Pierre und Luc Dardenne
Ein Kind...
Filme wie "l`enfant" haben im europäischen Kino eine lange Tradition, die jedoch leider immer seltener geworden ist. Vor Jahrzehnten haben diese Geschichten über soziale Aussenseiter, fernab von allen Hollywood-Klischees, ein Millionenpublikum gerührt und vielleicht sogar im besten Fall die Sichtweisen verändert.
In Sicas Meisterwerks des Neorealismus "Fahrraddiebe" beispielsweise sucht der arme Arbeiter Antonio Ricci mit seinem kleinen Sohn Bruno das gestohlene Fahrrad, ohne das er aufgeschmissen ist und wieder arbeitslos sein muss. Diese Kinobilder verfolgten Ende der 40er Jahre Millionen Zuschauer auf der ganzen Welt....doch die Sehgewohnheiten im Kino ändern sich. Immer seltener hat diese Art von Film noch einen lohnenswerten kommerziellen Erfolg. Immerhin gelingt einigen solcher Filme wie "Tee im Harem des Archimedes", "Hass" oder "Gestohlene Kinder" immer mal wieder ein schöner Achtungserfolg und genau diese extrem realistische, allerdings auch schöne und poetische Annährung der Tristesse vermittelt wie seine Vorbilder der belgische Film der beiden Dardenne Brüder.
Schauplatz ist die Kleinstadt Seraing, wo die dort einmal dominierende Industrie mit vielen Arbeitern immer mehr an Bedeutung verliert - dadurch eine grosse Arbeitslosigkeit verursacht, wie fast überall in der Wallonie.
Seraing ist grau, kühl bis kalt und nicht anders als die heute diskutierten und brisanten Trabantensiedlungen in anderen europäischen Ländern.
Und in solch einer Umgebung lebt der junge Kleinkriminelle und Hehler Bruno. Einen geregelten Job will er schon gar nicht mehr haben, stattdessen lebt er in den Tag hinein - macht Diebestouren mit einer Bande von Minderjährigen und verkauft dann. In diesem Metier kennt er sich aus, muss er auch: Denn es ist sein Zubrot zur minimalen Stütze durch den Staat.
Nun ist Bruno Vater geworden. Seine Freundin Sonia schleppt den Kleinen die ganze Zeit mit sich rum, er soll das Baby anfassen, hochheben...scheut aber diese Berührungen, solche Gefühle sind ihm fremd.
So denkt er sich gar nicht so viel dabei, als Sonia ihn mit dem Kleinen im Kinderwagen für kurze Zeit alleine auf den Strassen spazieren fahren lässt, das Baby ganz spontan möglichst gewinnbringend an eine Bande von Kinderhändlern zu verkaufen. In dem Moment verändert sich alles, das bisherige Leben läuft aus dem Ruder, die Situation eskaliert...
"L`enfant" wurde in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichnet. Einen Preis, den die belgischen Regisseure bereits 1999 mit einem weiteren, ähnlichen Film "Rosetta" erringen konnten.
Bei der Vergabe der Cesars 2006 wurde er in den Kategorien "Bester Film", "Beste Regie" und "Bestes Originaldrehbuch" nominiert. Mit einer weiteren Nominierung wurde auch die Darstellerin der Sonia - Déborah François bedacht.
Auch bei der Felix Verleihung war der Film mehrmals nominiert. Unter anderem wurde die eindrucksvolle Darstellung des Bruno von Newcomer Jérémie Renier gewürdigt. Bei der Wahl zum besten Film unterlag "LŽenfant" dem Haneke Meistwerk "Cache".
Der sehr traurige, fast sprachlos machende, aber vor allem wunderbar poetische Film mit diesen beiden neuen Gesichtern ist eine echte Kaufempfehlung an Leute, die solche Gegenwartsthemen inkl. moralischen und emotionalen Reifeprozess im heutigen Kino vermissen.
Im Grunde ist der Film eine Studie über heute fast schon kollektiv verloren gegangene Werte und dies zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen