Regie: Mehdi Charef
Ein Tag im Viertel, ein Augenblick am Strand...
Einer der Nebenfiguren im Films "Tee
im Harem des Archimedes" ist Balou (Charly Chemouny). Er war der
Schulkamerad der Freunde Pat (Remi Martin) und Madjid (Kader Boukhanef),
den beiden Hauptfiguren der Geschichte. Die Freunde können sich noch
daran erinnern als Balou das Theorem des Archimedes an die Tafel
schreiben musste und stattdessen "Tee im Harem des Archimedes" verstand
und als er diesen kryptischen Satz aufschrieb, hagelte es eine Ohrfeige
vom Lehrer. Diese Szene zeigt eindrücklich die Ferne der beider
Kulturen. Regisseur Mehdi Charef verfilmte dabei sein eigenes
gleichnamiges Buch und gewann damit 1985 in Cannes den Preis des jungen
französischen Kinos. Ausserdem gewann Charef einen Cesar im Jahr 1986
für das beste Erstlingswerk. Auch heute - nach mehr als 30 Jahren - ist
sein Film genauso aktuell wie in seiner Entstehungszeit und ist eine Art
Vorläuferfilm von Matthieu Kassowitz "La haine", der genau 10 Jahre
später entstand. Ort der Handlung in beiden Filmen ist irgendein
trostloses Wohnviertel am Rande von Paris und die Figuren sind junge
Verlierertypen, die miteinander befreundet sind. Sie halten zusammen und
kennen diesen Rassismus nicht, der das Land bewegt und Franzosen und
Zuwanderer trennt. Im Ghetto sind sie nur stark, wenn sie
zusammenhalten. Doch das Leben in den Banlieues ist hart für Madjid und
Pat. Zum Alltag gehören die Arbeitslosigkeit, das Rauschgift, der
Alkohol und Madjid wird vor allem ausserhalb seines Viertels mit der
Ausländerfeindlichkeit konfrontiert. Es hat es viel schwerer einen Job
zu bekommen. Seine Mutter (Saida Bekkouche) hält den Sprößling für eine
Versager. Der Vater (Brahim Genahim) ist psychisch schwer krank und kann
daher keiner geregelten Arbeit nachkommen. Madjid würde gerne
Fahrlehrer werden, doch ohne französische Staatsbürgerschaft hat er
keine Chance. So leben die Jungs in den Tag hinein. Sie halten sich mit
Einbrüchen, Diebstählen, Zuhälterei und Prostitution über Wasser. Das
Leben findet tagsüber draußen auf der Straße, am Abend in den Kellern
der Hochhäusern statt. Dort ist der Jugendtreff, wo man ohne Ziel
abhängen kann. Madjid ist auch in Pats Schwester Chantal (Nathalie
Jadot) verknallt, der es jetzt etwas besser geht, da sie einen Job
gefunden hat. Eines Tages klauen die Freunde einen Wagen und fahren ans
Meer...
Eine Szene, die für kurze Zeit fast
so wirkt, als könne man aus dem engen Käfig des Alltags ausbrechen. Doch
der befreiende Blick aufs Meer ist eine Illusion, was sehr schnell klar
wird und ehe man sich versieht ist man wieder mit beiden Beinen auf dem
Boden der Tristesse angekommen. Die Location wird von Mehdi Charef sehr
glaubwürdig eingefangen, alles wirkt echt und authentisch. Auch die
beiden jungen Darsteller liefern eine klasse Leistung ab. Sehr schnell
wurde "Tee im Harem des Archimedes" völlig zu Recht ein Kultfilm und
dies ist er bis heute geblieben. Charef gelang eine realistische
Beschreibung von Problemen in diesen Vierteln und sowohl Botschaft und
Lösung bleiben aus, aber dafür liefert der Regisseur dem Zuschauer eine
eindringliche Vision vom Überleben in dieser feindlichen Umgebung. Man
wird zum Denken aufgefordert, denn die Bilder von La Courneuve, dieser
Neubausiedlung im Norden von Paris, bleiben im Gedächtnis schon haften,
auch die hohen quaderförmigen Gebäude, in denen die Menschen leben. Eine
Landschaft aus Betonbergen und Betonschluchten. Behutsam werden die
Helden dieser Umgebung vorgestellt in dieser alltäglichen Umgebung. Sehr
schön eingegangen die Selbstverständlichkeit ihrer Freundschaft. Beide
haben noch Mut und Phantasie, um dem Leben zu rotzen. Es sind Menschen,
die sich im Augenblick vergnügen. Weil die Zukunftsperspektive unmöglich
scheint.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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