Regie: Marcel Camus
Der Tod beim Karnveal...
Aus heutiger Sicht ist die 1959 entstandene
brasilianisch-französisch-italienische Coproduktion "Orfeu Negro" vor
allem ein extrem temperamentvoller, schillernden und farbischer Rausch
für die Sinne. In seiner Entstehungszeit war er viel mehr - ein Wagnis
für die Produzenten und auch für den Regisseur Marcel Camus, denn der
Film sollte mit der portugisieschen Originalsprache und ausschließlich
dunkelhäutigen Darstellern ein Kinohit werden. Damit ging man genau wie
Otto Preminger mit "Carmen Jones" das Risiko ein, die bekannte Oper
"Carmen" in das Milieu der Afroamerikaner zu verlegen: Während des 2.
Weltkrieges arbeiten dunkelhäutige Frauen in einer Fallschirmfabrik,
eine davon ist "Carmen Jones", gespielt von der leider viel zu früh
verstorbenen Dorothy Dandrigde. Auch "Orfeu Negro" hat ein berühmtes
Vorbild - den antiken Mythos von Orpheus und Eurydike, basierend auf dem
Drama "Orfeu da Conceicao" von Vinicius de Moraes. Ein Drama, dass drei
Jahre vorher entstand. Schon vor Marcel Camus haben europäische Autoren
die antike Geschichte in die Gegenwart verlegt, so zum Beispiel Jean
Cocteau, dem mit seinem symbolbeladenen Film "Orphee" ebenfalls ein
Welterfolg gelang. Revolutionär war aber, dass Camus genau wie Preminger
auf die Wirkung von dunkelhäutigen Darstellern setzte. Die Rechnung
ging auf...der Film bekam den Oscar als bester fremdsprachiger Film und
wurde ein großer Kinohit. Darüberhinaus war er ein Wegbereiter für das
noch in der Zukunft liegende Black Cinema.
Die Hauptrollen wurde mit der US-Schauspielerin Marpessa Dawn und dem
brasilianischen Fußballer Breno Mello besetzt. Alle anderen Darsteller
waren Laien, die aber großartig agierten und tanzend im Bossa-Nova
Rhythmus begeisterten.
Alles fängt am Vortag des Karnevals an. Mit einem Fährschiff kommt die
junge Euridice (Marpessa Dawn), ein Mädchen vom Land, in die Großstadt
Rio. Sie hat ihr Dorf verlassen, weil sie sich von einem geheimnisvollen
Mann verfolgt glaubt. Sie hat das Gefühl, dass er sie töten will. Dies
sagt sie auch einem blinden Fahrgast, der sie etwas tröstet. Auf den
Straßen der Stadt ist jetzt schon Ausnahmezustand - alle Menschen tanzen
sich auf das große Ereignis ein. Sie wirkt verloren und ist auf der
Suche nach ihrer Serafina (Lea Garcia), die in Babilonia wohnt, einer
Favela oben auf dem Morro. Auch dort herrscht schon extremes Treiben,
selbst die Kleinen wie Benedito (Jorge Dos Santos) und Zeca (Aurino
Casiano) sind aus dem Häuschen, sie tanzen und lassen einen Drachen
steigen. Alles in dieser großartigen Aussicht auf die Stadt. Serafina
erwartet ihren Lover Chico (Waldemar de Souza), ein Matrose und hat die
Ankunft ihrer Cousine fast vergessen. Die hat inzwischen einen Bus
genommen. Dort lernt sie den Straßenbahnführer Orfeu (Breno Mello)
kennen, der auf der Linie 49 seinen Dienst verrichtet. Nachdem der
attraktive Mann mit ihr ein bisschen geflirtet hat, bekommt sie an der
Endstation von Hermes (Alexandro Constantino) , dem Verwalter der
Straßenbahn weitere Hilfe bei der Suche. Orfeu ist mit der feurigen Mira
(Lourdes de Oliveira) verlobt, sie drängt ihn gleich nach Arbeitsschluß
zum Standesamt zu gehen, um das Aufgebot zu bestellen. Als Orfeu seinen
Namen nennt, macht der Standesbeamte einen Witz und meint zu Mira "dann
heißen sie sicherlich Eurydice", was die extrem eifersüchtige Schönheit
gleich erzürnt. Dann kaufen die Verlobten den Verlobungsring und Orfeu
löst seine geliebte Gitarre beim Pfandleiher aus, denn er ist
schließlich der Sänger und Gitarrenspieler, der "die Sonne aufgehen
lässt". Dann beginnt auch schon der Karneval, Orfeu trifft Eurydice zum
zweiten Mal und beide verlieben sich unsterblich ineinander. Doch dann
taucht ein als Tod kostümierter Mann (Adhemar da Silva) auf...
Und so nimmt das Schicksal tragisch seinen Lauf. "Orfeu Negro" ist nicht
nur seine grandios eingesetzte Brazil-Musik (Samba und Bossa Nova)
einzigartig, auch die Kameraarbeit von Jean Bougoin ist Weltklasse. Der
Cinematograph war auf der Höhe seiner Karriere..ein Jahr vor "Orfeu
Negro" war er bereits für Jacques Tatis "Mon Oncle" tätig und
entwickelte gemeinsam mit dem Regisseur eine eigene Farbdramaturgie. Das
moderne Stadtviertel in "Mon Oncle" wurde in schrillen Farben
präsentiert, das Viertel des Helden Monsieur Hulot dagegen in warmen und
erdigen Farbkompositionen. Resultat: Der Oscar für den besten
Auslandsfilm und ein Jahr danach klappte es bekanntlich wieder. Auch
"Orfeu Negro" wurde prämiert und wieder war Bourgoin der Chef der
Kamera.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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