Dienstag, 19. September 2017

Das weiße Band







































Regie: Michael Haneke

Triebverzicht und Triebabfuhr...

Leben am Vorabend des 1. Weltkriegs: Im Sommer 1913 geschehen in einem norddeutschen protestantischen Dorf mysteriöse Vorfälle. Dieses Eichwald ist eine kleine Dorfgemeinschaft, bestehend aus vielleicht einem Dutzend Bauernhäusern, einer Kirche, einer Schulhütte und dem riesigen Gutshof des Barons
Die Bewohner von Eichwald bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft, die durch den Wechsel der Jahreszeiten mit Saat und Ernte, durch Religion und Tradition zusammengehalten wird.
Die Kinder des Dorfes gehen beim noch jungen 31jährigen Dorflehrer (Christian Friedel) zur Schule. Der Mann ist ein Humanist, in der Dorfgemeinschaft integriert und trotzdem ein bisschen ein Aussenseiter. Seit er die junge Eva (Leonie Benesch) sah, die mit dem Fahrrad durchs Dorf fuhr, ist er verliebt in das 17jährige Mädchen, die eine Anstellung bei der Frau (Ursina Lardi) des Barons (Ulrich Tukur) hat.
Der Lehrer erzählt mit der brüchigen Stimme eines alten Mannes von den Ereignissen dieser Zeit, dabei gibt er gleich am Anfang zu, dass alles schon so lange her ist, er vieles auch vom Hörensagen hat und auch die Erinnerungen langsam verblassen:
Damals im Sommer 1913 hatte der Arzt des Dorfes (Rainer Bock), der ein heimliches Verhältnis mit der Hebamme (Susanne Lothar) hat, einen schweren Reitunfall. Ein Unfall, der sich ziemlich schnell als Sabotage herausstellt, denn zwischen zwei Bäumen entdeckt man die Spuren von einem gespannten Draht.
Der Dorfpfarrer (Burghard Klausner) sitzt mit Frau (Steffi Kühnert) und seinen Kindern zu Tisch und ist erzürnt, weil vor allem seine pubertierenden Kinder vom Pfad der Tugend abgewichen sind und somit mit Rutenschlägen bestraft werden müssen. Ausserdem müssen sie wochenlang ein weißes Band tragen, als Zeichen der Verfehlung und als Erinnerung an die Unschuld. Besonders betroffen von der religiösen Härte des Vaters sind seine Ältesten Klara (Maria Victoria Dragus) und Martin (Leonard Proxauf).
Keiner im Dorf ist aber so richtig an der Aufklärung des Verbrechens an dem Arzt interessiert, es passieren weitere Unglücksfälle und merkwürdige Begebenheiten: Eine Bauersfrau kommt bei einem Arbeitsunfall im Sägewerk zu Tode. Es wird einige Tage darüber mehr geschwiegen als gesprochen. Am Tag des Erntedankfestes wird sogar das Krautfeld des Barons zerstört und sein kleiner Sohn verschwindet plötzlich. Aber das ist erst der Anfang und der Dorfleher macht die Beobachtung, dass immer in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten Kinder zugegen waren...
Michael Haneke spricht im Making of von "Das weiße Band", dass er einen Film machen wollte, über unmenschliche Idealpredigten, die irgendwann verabsolutiert werden. Sozusagen von der Gewalt der Erziehung, Onanie ist ein Verbrechen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Noch erdulden diese Kinder die Strafen, die ihnen zuteil werden. Aber sie strafen möglicherweise schon selbst. Und sie beobachten die Aggressionen der Erwachsenen genau, Männer, die an ihren Frauen, wann immer sie es befehlen, ihre libidinöse Notdurft verrichten.






In Cannes (der Film gewann die goldene Palme) hat die internationale Kritik schnell den Schluss gezogen, dass sich die aufgestaute Aggression nicht nur zwangsweise in einem großen Knall, dem Ersten Weltkrieg entladen muss, sondern dass diese Generation vor allem den Faschismus vorantreiben wird.
Haneke hat diese Interpretation teilweise in ersten Stellungnahmen bestätigt, machte aber auch den Zusatz, dass es ihm vor allem um diese verabsolutierten Prinzipien, Ideologien und Religionen ging.
"Das weiße Band" ist ín brillianten s/w Bilder von Kameramann Christian Berger eingefangen worden. Bilder, die dem Film jetzt schon einen Klassikerstatus ermöglichen, er erinnert von der Bildgewalt stark an einige grosse deutsche Filmmeisterwerke wie "Nachts, wenn der Teufel kam" oder auch "Der Verlorene".
Inhaltlich kommen mir sogar einige Klassiker des Horrorgenres wie "Die Nacht des Jägers" oder "Das Dorf der Verdammten" in den Sinn, auch an das Werk von Ingmar Bergman wird man stellenweise erinnert.
Apropos "Dorf der Verdammten": Überall stehen in diesem Film Kinder herum, meistens in Gruppen, es wird möglicherweise getuschelt. Dies sorgt für grosses Unbehagen. Es sieht so aus, als warten diese Jungen und Mädchen auf etwas, ein Befehl ?
Nur einmal kommt im Film helle Freude auf. Beim Erntedankfest. Doch der Schein trügt: Was wächst, wird irgendwann gleichmütig weggemäht. Was gefährliche Triebe schlägt, wird brutal gestutzt.
Hier erinnert man sich sogar an "The Wicker Man".
Mich hat der Film nicht nur beeindruckt, sondern sehr fasziniert. Die Geschichte bleibt mysteriös und ist eine böse, perfide Abhandlung über Autorität, Demütigung und Unterdrückung und deren Folgen auf die Psyche der Opfer, die logischerweise ihre Rollen tauschen werden.
Eine Weltklasseleistung bietet Burghard Klausner, der den Dorfpfarrer mit unfassbarer Kälte und unterdrückter Hilflosigkeit spielt.
Vielleicht sogar Hanekes bislang bester Film.






Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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