Regie: Yasujiro Ozu
Besuch und Abschied
Mit 54 Spielfilmen im Verlauf von 35 Jahren hat Yasujiro Ozu den Ruf
gefestigt, der japanischste unter Japans Regisseuren zu sein. Er drehte
Alltagsfilme über den japanischen Mittelstand, inszenierte menschliche
Stillleben. Meistens steht dabei die Familie im Mittelpunkt, daher ist
es ein universelles Thema. Doch seine Sicht aufs Leben ist sehr
japanisch geprägt. Formale Strenge und Einfachheit sollen bewirken,
dass sich die Sinne öffnen. Sein Style ist ruhig und völlig unhektisch -
im Grunde muss man sich als Zuschauer, der eine ganz andere
Sehgewohnheit kennt, auf diesen sehr kargen Rhythmus zuerst mal
einstellen. Was nicht einfach ist, da Ozus Filme auch sehr dialoglastig
sind. Wenn es aber gelingt, dann ist auch Raum für etwas grundlegend
Meditatives da - vor allem weil der Regisseur auch einfachsten Momenten
und Äusserungen Raum zum Nachhallen lässt.
Sein 1953 realisierter "Reise nach Tokio" gilt als sein größtes
Meisterwerk. Ein Film, der nicht die große breite Popularität besitzt,
aber dennoch seit Jahren regelmässig in jeder All Time Fave Liste über
die besten Filme aller Zeiten ganz weit vorne auftaucht. In der 2012
unter Regisseuren und Kritikern gemachter Umfrage der britischen Sight
and Sound wurde der Film von den Regisseuren auf Platz 1 gewählt, die
Kritiker vergaben nach "Vertigo" und "Citizen Kane" den dritten Platz an
Ozu Yasujiors bescheiden wirkenden Familienfilm.
In "Tokyo Monogatari" trifft die alte, ruhige Welt der Eltern auf die
hektische, nervöse ihrer Kinder. Und es ist für das pensionierte Paar
Shukichi (Chishu Ryu) und Tomi Hirayama (Chieko Higashiyama) ein kleines
Abenteuer von ihrer Heimatstadt Onomichi im Südwesten Japans, wo sie
mit ihrer jüngsten Tochter Kyoko (Kyoli Kagawa) leben, in die riesige
Metropole Tokio zu reisen. Dort wollen sie ihren ältesten Sohn Koichi
(So Yamamura) und die älteste Tochter Shige (Haruko Sugimura) besuchen.
Der Sohn ist ein Kinderarzt, die engagierte Shige betreibt einen
Friseursalon. Auch Noriko (Setsuko Hara), die Witwe des im Krieg
gefallenen Sohnes, soll besucht werden. Dabei ist bei der Ankunft der
Eltern die Stimmung ganz gut, lediglich die frechen Enkel zeigen sich
von der ungezogenen Seite. Tomi Hirayama wirkt aber sehr nachdenklich,
die 68 Jahre alte Frau hat irgendwie das Gefühl, dass ihr nicht mehr
viel Zeit bleibt. So sieht sie den Besuch auch als Art Abschied von den
Kindern. Und die haben leider auch sehr wenig Zeit für die Eltern, da
sie mit ihrem eigenen Leben viel zu sehr beschäftigt sind. Es bleibt an
Noriko hängen, den Eltern die Stadt zu zeigen - und die sind beeindruckt
"Schau mal wie groß Tokio ist" meint Shukichi und seine Frau entgegnet
ihm "Ja, wenn sich hier verliert, kann man sich ein ganzes Leben lang
suchen und wird sich doch nicht wieder finden". Beide Kinder legen dann
nach diesem Tag zusammen und finanzieren ihren Eltern eine Reise in den
Badeort Atami. Dort ist es den alten Herrschaften aber viel zu laut und
sie kehren überraschend wieder zurück. Shige erwartet aber Gäste und
kann sie nicht wieder aufnehmen. So verbringt Tomi die Nacht bei Noriko
und Shukishi verabredet sich mit ein paar alten Freunden, trinkt wieder
und wird am Morgen bei Shige durch die Polizei abgeliefert. Die Eltern
entschließen sich wieder heimzufahren - unterwegs machen sie aber Halt
in Osaka, weil Tomi sich nicht wohl fühlt. Dort wohnt der jüngste Sohn
Keizo (Shiro Osaka). Danach setzen sie ihre Reise in die Heimat fort.
Tomi stirbt aber nach der Rückkehr. Zwar kommen alle Kinder zur
Beerdigung, doch sie wollen alle sehr schnell wieder zurückfahren, da
das Leben ja weitergehen muss. Der Witwer Shukishi erzählt Noriko, dass
sich Tomi bei ihr besonders wohl fühlte und den Abend der Übernachtung
als schönstes Erlebnis in Tokio angesehen hat. Er dank ihr und rät der
jungen Witwe wieder unter die Menschen zu gehen, ein neues Glück zu
suchen und wieder zu heiraten...
Im Grunde eine ganz banale Handlung - die Kameratechnik (Yuharu Atsuta)
ist bewusst karg gehalten und verzichtet auf alle Effekte und auf
erlesene Formspielereien. Ein echter Purismus in der Gestaltung. Dennoch
muss ich sagen, dass mich dieser Film auch noch einen Tag danach sehr
bewegt und ich öfters an den Inhalt dieser irgendwie traurigen
Geschichte denken muss. Es ist dem Regisseur tatsächlich gelungen, mich
irgendwie zu fesseln. Und Bilder wie jenes des alten Ehepaars auf der
Mauer am Meer, brennen sich in das Gedächtnis ein. Ein Film, der gerade
wegen seiner Bescheidenheit mit einer eigenartigen Magie verzaubert und
die sinne schärft. Ich denke es ist durchaus gerechtfertigt, dass ein so
einzigartiger Film wie "Reise nach Tokio" diesen hohen Stellenwert bei
Cineasten einnimmt.
10 von 10 Punkten.
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